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 TOURENBERICHTE
Spartaner Offline




Beiträge: 1.150

10.11.2018 20:30
Bargusin - Baikal, Sibirien 2018 Antworten

Wanderpaddeln Bargusin - Baikal 2018

Die diesjährige Sommerpaddeltour führte uns als 4-köpfige Gruppe einen Monat ins Herzen Sibiriens, nach Ulan-Ude, auf den Fluss Bargusin und auf den Baikalsee. Wie kam es dazu?

Seit vielen vielen Jahren, seit ihrer Karelientour 2008, haben Roland und Dörte Anlauf genommen, eine längere Sibirien-Paddeltour mit möglichst vielen Mitpaddlern zu machen. Roland wollte 6 Wochen Sibirien organisieren, für 2 Gruppen a 3 Wochen. Mehrere Anläufe in den folgenden Jahren verliefen im Sande. Aber 2018 - ein Traum wird wahr, zumindest Rolands und Dörtes. Für die erste Gruppe (sächsische Sommerferien) meldeten sich 26 Leute an (von denen am Ende einer absprang), für die 2. Gruppe (Berliner Sommerferien) 5 Leute, von denen 2 wieder absprangen.

Ich selber war nicht besonders begeistert von dem Plan. Zum einen hatte ich bereits eine andere große Tour vorgesehen, zum anderen entsprach das, was Roland im Detail vorhatte, nicht unbedingt dem, was ich mir unter einer Sibirien-Paddeltour vorstellte.

Den von ihm ins Auge gefasste Fluss Chilok habe ich mir genauer angesehen. Er ist ein einfacher Steppenfluss, der von Anfang bis Ende durch mehr oder weniger bewohntes Gebiet fließt, kein Stück abgelegene Wildnis, wie das in meiner Vorstellung von Sibirien sein sollte. Andernseits, falls ich meine große Pantanal-Tour ein Jahr verschiebe, dann würde mir die Sibirien-Tour Gelegenheit bieten, Fliegen mit großem Bootsgepäck mal auszuprobieren, da hatte ich vorher so ganz ohne Erfahrung erhebliche Bedenken. Andrea dagegen träumt bereits seit über 40 Jahren vom Baikalsee, und so haben wir uns Ende Januar entschieden, in der 2. Gruppe mit nach Sibirien zu fliegen.

Die Vorbereitungen habe ich hier im Detail geschildert, so dass jeder, der noch Hemmung hat, nach Russland zu reisen, sehen kann, welchen Aufwand das bedeutet und ob es ihm das Wert ist. Natürlich kann man beliebige Teile dieses Aufwandes gegen Geld an Reisebüros abgeben. Gerade die Beschaffung der Visa war ein kleines Extra-Abenteuer, das ich gerne mitgenommen habe. Den Flug haben wir direkt bei S7 nach Ulan-Ude gebucht.

Später hat Roland sein Reiseziel mit der 1. Gruppe vom Chilok auf die Uda verlegt. Damit ging für uns der Unterlauf des Chilok und die Fahrt auf der Selenga bis zum Baikalsee verloren. Roland würde ja dieses Stück nicht gleich zwei mal hintereinander befahren wollen. Stattdessen warf er für uns die Flüsse Obere Angara und Bargusin in den Ring. Die Obere Angara kam für mich nicht in Frage, weil die Anfahrt aus Ulan-Ude sehr umständlich und/oder teuer wäre. Also habe ich mir den Bargusin näher angeschaut, war von dem Fluss und seiner Umgebung ganz angetan und habe einen Detailvorschlag unterbreitet:


Zeitplan Bargusin-Baikal 12.7.-10.8.2018

12.7. Abflug 15:30, Registrierung bis 14:50, Taxi 12:30. Moskau an 19:10, ab 20:40

13.7. Ankunft Улан-Удэ (UU) 08:10, Tag in UU, Unterkunft "4 Комнаты", +7 (3012) 213551(1?), otel4@yandex.ru, ул. Каландаришвили, 21, Улан-Удэ, Einchecken ab 12:00

14.7. Ausflug Iwolginski-Kloster (Иволгинский Дацан, Map), UU, Bus Маршрут №108 "Улан-Удэ – Верхняя Иволга", 2-stündlich von 8 -20 Uhr in beide Richtungen immer zur vollen Stunde, Rückfahrt spätestens 19 Uhr! Alternativen №104 und №130 nur bis Iwolginsk, von da sind es noch 16km bis zum Dazan, aber alle 10 Minuten.

15.7. Busfahrt 419km ins Bargusin-Tal, Online-Ticketkauf mit Anzeige der freien Plätze, Abfahrt маршрут № 320 7:30 (08:00) oder 11:00 bis Курумкан, Ankunft 15:45 bzw 18:45 (11:00 Pause 40min in Турка am Baikal), Google-Karte. Aber nur wenn man 8:00 abfährt hat man die Chance, abends noch die weiteren 82km bis Улюнхан, dem letzten Dorf im Tal, zu schaffen, Marschrutka 17:00? oder Ruftaxi? В районном центре (Курумкан) работает служба такси, 75км. Номера телефонов: (924) 771-03-03 и (924) 396-22-22.

16.7. Fahrt bis Quelle «Умхей» (mit Nobelunterkunft), hinter Улюнхан max 20km zu Fuß/Auto, Furt

17.7. Bergtour auf einen nahen 2000er mit Aussicht in die sibirischen Gebirgswelten, damit ein ganz wenig richtiges Sibirienfeeling (Micha alleine oder mit Dörte, Andrea bleibt im heißen Wasser der Quelle liegen), mögliche Route auf Satellitenbild, GPSies.com

18.7. Bergtour auf einen nahen 2000er (Micha, Dörte)
19.7. Bergtour auf einen nahen 2000er (Micha, Dörte), vielleicht geht das auch schneller
20.7. Start Bargusin, hier oben noch viele sehr flache Kiesbankschwellen oder gar Wildwasser, Roland kommt an den Bargusin, telefonische Ortsbestimmung und abends oder nächsten Tag Treffen
21.7. (Abflug Gruppe 1a)
22.7. (Abflug Gruppe 1b)
.
. weitere 12 Tage paddeln, Google-Übersichtskarte
.
4.8. Späteste Ankunft Baikal (Усть-Баргузин)
5.8. Paddeln zur Heilige Nase 20km
6.8. Wanderung auf die Heilige Nase 1877müNN = 1420müBaikal
7.8. Zurückpaddeln nach Усть-Баргузин
8.8. Späteste Rückfahrt mit Bus nach UU
9.8. Allerspäteste Rückfahrt UU, oder noch ein Tag in UU Nacht im Гостиница Полет, 800m zu Fuß zum Flughafen, Цена номера: 1100–1900 руб (andere Quellen sagen ab 2100 Rubel).
10.8. Rückflug von UU 9:25, Registrierung bis 8:45. Moskau an 10:50, ab 12:45, Berlin an 14:40


Der Bargusin

Der Bargusin/Баргузин ist ein 498km langer Zufluss des Baikalsees in Südsibirien/Burjatien im asiatischen Teil Russlands.

Der Ursprung (Map) des Flusses befindet sich in etwa 2050m Höhe unterhalb des mit 2574m höchsten Gipfels des Южно муйский хребет rund 135km östlich des Baikalsees. Anfangs fließt der Bargusin ein Stück nach Nordwesten und knickt dann nach Süden ab. Der gesamte gebirgige Teil des Einzugsgebietes ist unbewohnte Taiga- und Hochgebirgs-Wildnis, zu großen Teilen zusätzlich streng geschützt im 2381 km² großen Staatlichen Naturreservat Dscherga (Джергинский государственный природный заповедник). Der Fluss ist hier für einfache Wanderpaddler zu schwierig, Wildwasser bis WW5.

Unterhalb dem Kurort Umkhey/Курорт «Умхей», dem einzigen zivilen Vorposten in der Wildnis, weitet sich das Tal, das Gefälle nimmt ab, und der Bargusin fließt über ein dutzend Kiesbankschwellen (WW1) in die Bargusin-Senke/Баргузинская котловина. Diese ist ein 180 km langer und bis 35 km breiter Grabenbruch zwischen dem hohen Bargusingebirge/Баргузинский хребет im Westen/Nordwesten und dem niedrigeren Ikat-Gebirge/Икатскийй хребет im Südosten, der im Laufe von etlichen Millionen Jahren vom Bargusin und seinen Nebenflüssen mit den aus den Gebirgen herangeschafften Sedimenten aufgefüllt wurde. Man erkennt sie sehr gut auf der Reliefkarte (der Bargusin in grün). In diesem Tal verzweigt sich der mäandrierende Fluss in mehrere Arme und bildet eine Sumpflandschaft mit über 1000 Seen und Altwassern. Die Bargusin-Senke ist besiedelt, Teile der Talflächen (Sumpf und Steppe) werden extensiv beweidet, hauptsächlich durch Rinder und Pferde.

Am Ende dieser Sumpfebene, kurz hinter dem Ort Bargusin, verengt sich das Tal wieder, das Gebirge bildet eine Schwelle und der Fluss fließt die letzten Kilometer bis zum Baikal wieder flott mit höherem Gefälle bis in die Bargusin-Bucht, welche die größte und tiefste Bucht des Baikalsees bildet und sich im Osten des Sees südlich der Halbinsel Heilige Nase/Святой Нос befindet.



Unser Startpunkt liegt in ~620müNN:


Wie in den letzten Jahren gewohnt, habe ich zunächst eine Bargusin-Seite im Faltboot-Wiki angelegt, auf der alle für mich relevanten Infos gesammelt wurden, habe den Flusslauf in der Openstreetmap bis zur Quelle verlängert und verbessert, viele Nebenarme und weitere Details eingezeichnet, und das Monate vor der Reise, damit genügend Zeit bleibt, dass die Openandromaps "Siberia-South" aktualisiert wird und meine neuen Elemente zum Zeitpunkt der Reise auch tatsächlich enthalten sind und angezeigt werden. Danach habe ich einen durchgehenden Hauptlauf isoliert, und den als einen Track in GPSies.com eingespeist. Diesen Track kann man dann wieder herunterladen mit einem Häkchen vor der Option "Kilometer-Markierung hinzufügen". Damit gelangt man an eine perfekte Kilometrierung des Flusslaufes. In Locus Map weiß man dann immer wo man ist und wie weit es auf dem Fluss noch ist zu beliebigen Zielen am Ufer.

Neben der Openandromap habe ich noch Google- und Bing-Satellitenbilder heruntergeladen, sowie die alten sowjetischen Militärkarten im Maßstab 1:100000 und größere Übersichtskarten, alles für LocusPro aufbereitet und damit für den gesamten Fluss und die Heilige Nase alle Karten und Luftbilder offline parat gehabt. Perfekt - und eine Freude darüber, was heutzutage alles so geht, wenn auch mit einem gewissen Vorbereitungsaufwand. Durch die intensive Beschäftigung mit den Karten und Luftbildern wurde mir die Gegend bereits sehr vertraut.

Dazu lasen wir den Führer: "Baikalsee: Handbuch für Reisen in die Baikalregion", der in einer aktuellen Auflage von Mai 2017 angeboten wurde und ziemlich gut geschrieben ist.

Soweit mein Kenntnisstand vor der Tour. Das konnte man soweit alles aus dem Netz ziehen.


Ausrüstung

Die Ausrüstung sollte wegen des teuren Fluggepäcks und auch den nicht einfachen Transporten im Land (Marschrutka) möglichst leicht und nicht so voluminös sein, wie wir das von unseren Autotouren bisher gewöhnt waren.

Anfang des Jahres habe ich einen neuen Ally Pathfinder gekauft (1426.81€), den 15.5er, der auf ruhigem Wasser, auf Seen und großen Flüssen leichter läuft als der Ally Tour 16.5’. Dazu wiegt er 2½kg weniger. Natürlich passt in den neuen auch deutlich weniger Gepäck hinein, aber da ja das Fluggepäck sowieso arg limitiert ist, sollte das passen. Für den haben wir kurz vor der Tour noch eine extra leichte Spritzdecke geschneidert, die ohne die sperrigen Ringe der von Bergans angebotenen Ally-Spritzdecken auskommt.

Meine Ausrüstung habe ich noch durch einen wasserdichten Rucksack im Handgepäckformat ergänzt (39.90€). Außerdem habe ich ein simples teilbares TNP-Stechpaddel gekauft (42.94€), welches gut in den Bootsrucksack reinpasst. Anstatt eines Ersatzpaddels begnügte ich mich mit einer chinesischen Paddelsicherung (2.81€). Andrea dagegen wollte später unbedingt ihr leichtes, aber unteilbares Carbonpaddel mitnehmen, und hat dafür extra eine Snowboardtasche gekauft (35€), die sie als kostenloses Sportgepäck durch den Check-in bringen wollte.

Außerdem besorgte Andrea ein ultraleichtes, durch extrem hohen Mesh-Anteil im Innenzelt auch sehr gut durchlüftetes Sommerzelt, ein MSR Freelite 3. Bei den Matten haben wir auf unsere Luxury-Maps verzichtet und haben trotz unseres Alters wieder die alten 3.8cm-Matten hervorgekramt.

Wanderschuhe habe ich extra eingepackt, um in der sibirischen Bergwelt nicht zu schnell an Grenzen zu kommen. Und für die Kiesbankschwellen auf der ersten Tagesetappe extra noch Neoprenschuhe, da bei Niedrigwasser mit Treidelpassagen zu rechnen war. Wurfsack für Dörtes Tarp.

Die 3.8L-Dose mit Elektronik-Krams mag euch vielleicht unnötig vorkommen, aber das meiste davon kam tatsächlich zum Einsatz (Solarpanel, Powerbank, Ladegeräte für 18650er, AAs und die Kamera-Akkus, USB-Adapter und Speicherkartenleser zum Überspielen und sichern der Fotos von der Kamera, neben dem Smartphone als Standard-GPS-Tracker noch eine GPS-Maus als Tacho-Anzeige etc).

Der übrige Kram entsprach in etwa dem, was wir auch sonst dabeihaben.

Die Reise

Abflug 12.7. ab Berlin-Tegel, Umsteigen in Moskau, Ankunft am nächsten Morgen in Ulan-Ude.



In Moskau-Domodedowo:


Erster Tagesordnungspunkt in Ulan-Ude: Dörte will ihr neues Boot abholen. Sie ist ohne Boot hier angereist, hat Wochen vorher telefonisch in Moskau bei der Firma MFK ein Boot vom Typ "Jana" geordert und nach Ulan-Ude vorschicken lassen. Dieses soll nun heute bezahlt und abgeholt werden. Auch ein schönes kleines "Mikroabenteuer". Aber es läuft tatsächlich alles reibungslos. Sie hat damit den Flugtransport eines Bootes hierher gespart und für das Boot hier mit 630€ auch deutlich weniger bezahlt als in Deutschland. Das Boot verfügt über viel Stauraum für das Gepäck bei langen Wanderfahrten, wiegt nicht viel (17.5kg) und hat ein sehr gutes Packmaß (40х20х100cm). Alles Vorteile gegenüber dem E65, den sie bisher immer gefahren ist. So schnittig wie dieser ist die pummelige Jana natürlich nicht.

Nachmittags kauft Andrea uns drei Bustickets nach Kurumkan für übermorgen für je 880₽ (12.22€ für 419km). Außerdem versucht sie die Frage zu klären, wie man von Kurumkan aus weiter nach Ulyunkhan kommt.

Während die Damen weiter shoppen gehen, schaue ich mir die Stadt an. Ist alles ganz hübsch gemacht hier, in Putins Russland. Die Bevölkerung ist hier hinter dem Baikal in Burjatien bereits überwiegend asiatisch. Die meisten sind Burjaten, eine Untergruppe der Mongolen, daneben leben hier Ewenken, Ureinwohner Sibiriens, die ihren Verbreitungsschwerpunkt weiter im Norden haben.

Am nächsten Tag besuchen wir das Kloster Iwolginsk. Es war lange Zeit (seit 1946) das einzige funktionierende buddhistische Kloster auf dem Gebiet der Sowjetunion. Bis heute ist es das größte, außerdem ist es Zentrum für buddhistische Philosophie und tibetische Medizin in Russland.



Am 14.7. fahren wir zum Startpunkt der Paddeltour. Der Bus № 320 nach Kurumkan hat wie befürchtet keinen Dachgepäckträger. Das Gepäck der anderen Fahrgäste ist auch nicht wenig, und so müssen wir noch einen zusätzlichen Sitzplatz dazukaufen, um die Boote unterzubringen. Dabei haben wir noch Glück, dass überhaupt ein Platz frei ist, denn ansonsten ist der gesamte Bus voll besetzt. Selbst im Gang werden die Klappsitze alle belegt.



Unsere Sitzplätze sind alle in der letzten Reihe, der Reihe mit den schlechtesten Sitzen und der geringsten Kopf- und Beinfreiheit. Andrea möchte vorne sitzen, und es bedarf einiger Diskussion, bis sie einsieht, dass die Sitzplätze numeriert und bereits beim Kauf zugeteilt waren.
½3 sind wir in Kurumkan. Um 5 kommt der neue Bus, und ein Haufen Leute stürzt hinein. Vorne auf unseren Plätzen haben sich ein paar dicke, schwitzende Burjatinnen breitgemacht. Sie haben nicht einmal Fahrkarten, wollen uns aber partout nicht die Plätze rund um unser Gepäck herausrücken (unser Gepäck wird diesmal auf dem Motor gestapelt, zwischen Fahrer und Beifahrer, Dörte und ich sitzen dahinter und müssen es festhalten). Erst die beharrliche Intervention des Busfahrers, der erst abfahren will, wenn die Sache geklärt ist, bewegt sie dazu, ein paar Klappsitze im Gang einzunehmen. Dabei haben sie Glück, überhaupt mitzukommen. Der Bus ist wieder gerammelt voll, ein paar Leute müssen stehen, was bei den Überlandbussen gar nicht erlaubt ist. ½6 geht es endlich los.

Wir gelangen immer tiefer ins Bargusin-Tal. Dörte fotografiert aus dem Busfenster.





In Uljunchan ist Endstation. Für die letzten 20km chartern wir den Bus als Privattaxi bis Umchey. Das war nämlich bisher noch offen, wie wir dahin kommen. Abends ½9 haben wir es geschafft, wir haben die Einsatzstelle am Rande der Wildnis erreicht und zelten am Flussufer. Die gesamten 512km Fahrt von Ulan-Ude bis Umchey haben 6000₽ gekostet, also 27.78€/Person. Das lief doch schon mal ziemlich gut bis hierher. Wir sind einen Tag früher als geplant angekommen.

Am nächsten Tag inspizieren wir den Курорт «Умхей». Das ist nun kein Kurort wie wir uns das vorstellen, also mit großartigen repräsentativen Gebäuden, Cafes und flanierenden Gästen, sondern eher eine einfache «Турбаза», russisch für Touristenstation. Auf einem Hektar freigemachter Rasenfläche stehen 16 hölzerne Unterkunfts- und Wirtschaftsgebäude.



Hier im Gebiet gibt es 146 heiße Quellen. Genau da, wo man das Gelände betritt, steht ein kleines Badehaus, wo man in sehr heißem Wasser (50°C) maximal 1 - 2 Minuten verbringen darf. Draußen daneben ragt ein Rohr aus einem Steinhaufen, aus dem warmes Wasser zum Trinken plätschert. Und weiter unten, am Südende des Geländes, befindet sich ein flacher Teich mit warmem Wasser, das von oben hereinfließt und aus dem Untergrund dazuströmt.

Das Wasser soll gegen alle möglichen Krankheiten helfen. Ich glaube nicht so recht daran und verzichte hier auf eine Auflistung. Ein sehr schöner Bericht über das Bargusintal zeigt Umchey in allen seinen Facetten, natürlich auch, wogegen das Wasser alles hilft.

Die Chefin hier ist Olga Nikolajewna, eine sehr rührige Frau, immer erreichbar unter (924) 357-96-80. Sie verantwortet den sehr guten Zustand der Anlage, auch die künstlerische Ausgestaltung, legt selber überall Hand an und hat den ganzen Tag zu Tun, um ihre Angestellten auf Trab zu halten.

Sie hat zwar kein Zimmer frei, verspricht aber sofort bescheidzusagen, wenn jemand absagt. Andrea möchte nämlich nicht alleine weiter draußen in der Wildnis zelten, während Dörte und ich morgen auf unsere Bergwanderung gehen.

Erst mal nehmen wir ein Bad. Nicht im 50°C heißen Badehaus, das halte ich nicht aus, sondern im offenen Badeteich draußen. Hier wurden etliche Steinmännchen errichtet, und da herum entspringen weitere heiße Quellen im Untergrund. Man sieht stellenweise Gas aufperlen, und spürt, wie der Sand in der Tiefe immer heißer wird, herrlich. Auch hier im 35°C warmen Wasser soll man nur bis zu 20 Minuten baden, mehr könnte zu Gesundheitsproblemen führen (Mineralstoffhaushalt, Kreislauf).



Beim Baden lernen wir ein Paar kennen, die mit uns im selben Haus wohnen und so wie wir vorhaben, in die Berge zu wandern. Viktor kommt aus Estland, Alisja aus St. Petersburg, beide 33. Viktor ist ethnisch Russe, in der Sowjetunion in der ESSR geboren, ist aus estnischer Sicht ein „Nichtbürger" und kann mit seinem grauen Pass visafrei nach Russland einreisen ("Alien’s Passport"). Mit ihnen verabreden wir uns für morgen früh um 6, um die Wanderung gemeinsam zu starten.

Nachmittags baut Dörte ihr neues Boot zum allerersten mal auf. Der Aufbau zieht sich. Sie muss bei jedem Teil erst mal feststellen, wo es hingehört und wie genau das nun eingebaut werden muss. Eine deutschsprachige Bauanleitung hat sie bereits von Zuhause mitgebracht.



Einen Tag später wollen wir endlich mal raus in die sibirische Gebirgswildnis. Mein Plan sieht vor, eine Runde über die nächstgelegenen 2000er zu gehen, insgesamt 38 überwiegend wegelose Kilometer (Map).



Gelb der Plan, blau der gelaufene Weg. Die zwei höchsten Gipfel auf dieser Runde sind nicht so schroff wie anderswo im Bargusingebirge, und erreichen eine Höhe von 2195 und 2326m. Vom Ausgangsniveau in Umchey (620müNN) sind das also ~1700 Höhenmeter. 2 bis 3 Tage sollten für diese Runde reichen.





Den Plan haben wir dann nur teilweise umgesetzt, die 3 Mitwanderer sind bereits vorher umgekehrt. Am Abend erreichen mich Gewitter. Ich bin trotz quasi Tourabbruch zufrieden mit dem Tag. Mehr Wildnis kann man nicht fühlen, und glaubt mir, ich habe eigentlich immer damit gerechnet, dass uns auf dem Grat ein Bär entgegenkommt. Besonders als ich so still da oben auf dem Vorgipfel gelegen habe, da hätte das jederzeit passieren können. Oder auch wenn man sich durchs dichte Unterholz schlägt ....

Am Abend zelte ich alleine am Ufer des Bargusin und kehre am nächsten Tag nach Umchey zurück. Morgen kommt Roland, und da wollen wir bereits Umchey verlassen haben und etwas weiter stromab in der Taiga zelten. Mir solls recht sein, ich zelte sowieso lieber als in solchen Unterkünften zu wohnen.

Vormittags baue ich den Ally auf, der sogleich vom burjatischen Paddelvolk geentert wird: :D



Wer allerdings genau hinschaut erkennt, dass der Burjat nicht paddelt, sondern rudert. Eigenartigerweise gibt es im Russischen (der Verkehrssprache der Burjaten) nicht mal ein Wort für "Paddeln". Und im Burjatischen, so erzählt uns eine Studentin, die hier ihren Ferien-Job macht, gibt es keine Wörter für "Bitte" und "Danke". Das lässt tief blicken ...

Mittags ziehen wir um auf unseren gestern ausgesuchten Zeltplatz. Während Dörte unbedingt mehrfach laufen will, mache ich es mir einfach und werde Boot und Gepäck den Fluss runter zum Zeltplatz paddeln.


Bargusin/Баргузин, Stromschnelle hinter Umkhey/Умхей

Nach 6 Minuten ist der Spaß bereits vorüber, die heutige Tagespaddelstrecke ist geschafft. ;-)

Abends stößt dann Roland zu uns in den Wald. Er ist heute früh in Посольское südlich des Selenga-Deltas mit einem Toyota Harrier als Privattaxi von der Endstation der 1. Gruppe abgeholt worden und war den ganzen Tag unterwegs. Erst mal werden die Einkäufe ausgeladen, ein Bier geöffnet, und dann kommt der Rest. Roland zahlt 10000₽ für die knapp 600km Fahrt, 139€.
Morgen geht es dann endlich richtig los mit unserer Paddeltour, ich freue mich schon drauf.

20. Juli 2018, Der erste Tag auf dem Bargusin. Vormittags wird gepackt, Roland baut seine eigene "Jana" auf, und anschließend gehen wir ein letztes Mal Baden in der heißen Quelle Umchey.
½2 starten wir aufs Wasser. Der Fluss fließt hier durch eine typische Taigalandschaft am Südrand der riesigen East Siberian taiga ecoregion, am linken Ufer durchgängig geschützt vom Джергинский заповедник. Der grobe Schotter des Flussbettes kündet von starken Hochwässern, die das Geröll aus den Bergen mitbringen. Jeden halben Kilometer verengt sich das weite Schotterbett und durchbricht eine vom Fluss selber aufgeschüttete Kiesbankschwelle.

Wegen der lang anhaltenden trockenen Witterung im Frühjahr und Sommer vor unserer Fahrt hatte ich Niedrigwasser befürchtet und habe mir fürs Treideln im groben Schotterbett extra Neoprenstiefel mitgenommen. Uns wurde in Umchey auch berichtet, dass das so trocken war, und dass 2 Wochen vor unserem Start aufs Wasser andere Faltbootfahrer aufgebrochen sind, die wegen dem niedrigen Wasserstand jede Kiesbankschwelle treideln mussten.

Aber wir hatten, wie bereits mehrfach auf etlichen unserer vorherigen Paddeltouren, auch diesmal wieder viel Glück. Es hat Mitte Juli ordentlich geregnet, siehe die dunklen Bereiche nordöstlich von Irkutsk, und der Fluss hat viel Wasser. So viel, dass die meisten Geländewagenfahrer auf die Durchfahrt der Furten nach Umchey verzichtet haben und ihre Autos davor im Wald abstellten.



Das viele Wasser hilft uns jetzt ungemein, die ganzen Kiesbankschwellen ohne Grundberührung zu passieren. Nur Roland hat sich mal festgefahren, als er in zu flache Bereiche geriet.





Es geht unheimlich flott voran, in den langsamfließenden Abschnitten um die 8, in den Schnellen bis zu 18km/h.

Ab und zu gabelt sich der Fluss und fließt in mehreren Teilarmen die Kiesbankschwellen hinab. Hier ist es immer wieder spannend, den richtigen Arm zu erwischen, den, der das meiste Wasser führt. Wenn man Pech hat, kann man an den gut durchflossenen Armen vorbeifahren und sitzt am Ende auf dem Trockenen. Aber das kennt ihr ja von ähnlichen Flüssen wie dem Ober- und Mittellauf des Ticino Inferiore.

Uns gefällt diese Taiga-Landschaft, und da wir wissen, dass sich der Charakter des Flusses bald ändern wird, beenden wir den Paddeltag bereits nach 9km Fahrt. Links lächelt uns eine große Schotter- und Sandbank an, offen genug, um nicht von Mücken aufgefressen zu werden, viel Platz, dass die Schnarcher mit genügend Abstand von uns zelten können, viel Brennholz, alles perfekt.





Das Feuer entfachen wir vorne im groben Schotter, da sind noch weniger Mücken und ein schöner Blick auf die Berge.



Bald nähert sich eine Regenfront, und wir verlegen das Abendbrot unters Tarp. Auf der Speisekarte stehen große Mengen Kartoffeln, Möhren und Fett, eine spezielle Diät, mit der uns Dörte die nächsten 3 Wochen fast täglich beglücken wird. :shock:



Nach dem kräftigen Regen liegt Nebel über dem Fluss, es hat sich erheblich abgekühlt.



Der Morgen des 21. Juli ist noch trocken und so sind wir vormittags ½10 wieder auf dem Wasser, genau mit den ersten Regentropfen. Aber das macht nichts, im Kanu sitzen wir warm und trocken. Heute wollen wir mal ein bisschen gut machen, was wir den ersten Tag vertrödelt haben. Die ersten 10km geht es mit ~12km/h flott voran.



Etwa auf Höhe von Uljunchan/Улюнхан nimmt das Gefälle plötzlich ab, anstatt Schotterbänken säumen jetzt Sandbänke die Ufer. Wir sind in dem Schwemmkegel gelandet, der hier vom Bargusin und seinen links und rechts mündenden Nebenflüssen р. Хахархай, р. Джирга und р. Улюнга gebildet wird. Unser durchschnittliches Paddeltempo sinkt auf ~7km/h.

Pause auf einer großen Sandbank:


Mir wird ja das ewige Sitzen im Kanu schnell zuviel, Aufstehen auf dem Wasser bereitet Andrea Panik, und auch der Wechsel zum Knien reicht nicht immer.
Am Ufer füllen wir schnell das Luftsofa und können bequem liegen. :sleep:


Kräftige Schauer im Gebirge, wir paddeln drauf zu:


Phantastische Blicke öffnen sich auf das wilde Hochgebirge vor uns:


Der Fluss erreicht hier stellenweise 400m Breite. Auf dem Satellitenbild sieht man schön die wandernden Sandbänke am Flussgrund. Während Niedrigwasser liegen große Teile des Grundes trocken. Aber wie gesagt, wir haben Glück und können fast überall drüberpaddeln. Uns wird langsam klar, dass wir es gerade mir einem ordentlichen Sommerhochwasser zu tun haben.



Ab 17 Uhr drängt Dörte darauf, endlich einen Lagerplatz zu suchen. Sie hat den ganzen Tag noch nichts gegessen (das gehört zu der speziellen Diät) und dementsprechend hat sich der Hunger gemeldet. Sandbänke werden bereits seltener und sie glaubt, wir werden noch am letzten schönen Platz vorbeipaddeln. Also schauen wir uns jetzt immer mal wieder potentielle Zeltplätze am Ufer an.

Ich möchte eigentlich noch ein Stück paddeln. 5 Plätze werden besichtigt, 5 mal sagt Roland nein. Doch dann kann ich Dörte nach Blick auf das Luftbild eine erfolgversprechende Sandbank avisieren (aber natürlich ohne Garantie).

4km später ist es dann so weit, der ideale Lagerplatz ist gefunden:



Er muss die verschiedensten Wünsche unter einen Hut bringen: alle möchten eine freie Fläche mit wenig Mücken, flachen Zeltstellen und viel einfach zu erlangendem Feuerholz. Dazu kommt flacher Zugang an Land, was für unsere beiden Kajakfahrer wichtig ist, Bäume für ein Tarp für Dörte, eine Badestelle für Roland, ein schöner Blick auf die Berge im Westen, was mir gefallen würde, sowie ein großer Abstand der Zelte untereinander, damit ich die Schnarcher nicht so laut höre, etc.
Für jemanden, der immer artig auf europäische Campingplätze geht, sind das sicher vollkommen überzogenen Wünsche. Aber hier lassen sie sich fast immer erfüllen.

Da wir nicht wissen, ob das Wasser weiter steigt, setzen wir gleich nach Ankunft einen Pegel an der Wasserlinie. Für die Tarp-Mittelstange wird eine vertrocknete armstarke Kiefer gefällt. Die Frauen bereiten das Abendbrot, und dann beginnt der gemütliche Teil des Abends.

Der Pegel steigt heute Abend tatsächlich noch weiter an. Andrea hat nah am Wasser gebaut, und ich muss sie beruhigen, das Zelt muss nicht versetzt werden, denn alle Berechnungen zeigen, dass es bei gleichbleibender Rate bis morgen früh reichen müsste.

22. Juli, der Wasserstand ist um ~10cm gestiegen und damit liegt die Uferlinie jetzt 1m näher an unserem Zelt. Die "Berechnungen" haben gestimmt.
Nach anfänglich offenen Ufern paddeln wir 17km lang durch urwüchsige Taiga-Landschaft. Die Ufer sind durchweg dicht bewachsen oder sumpfig, so dass sich die ganze Zeit über (3h) kein einziger potentieller Zeltplatz ausmachen lässt.

Wieder viele schöne Gebirgsblicke:








Erst kurz vor dem Dorf Maiski, quasi bereits Ortslage, wäre eine erste schöne große Sandbank gewesen:


In Maiski wollen wir Einkaufen gehen. Aber wird heute am Sonntag ein Laden für uns öffnen? Dörte bleibt bei den Booten und wir gehen einen Laden suchen. Auf dem Weg der erste verrottete Sappo, weitere folgen auf dieser Tour. Ich habe das Gefühl, der Sappo wird auch in Russland nicht mehr geschätzt. Insgesamt liefen in den Jahren 1960–1994 über 3 Mio. dieser Gurken vom Band der Saporoschezker Autofabrik.



Vor dem Gemeindebüro das unvermeidliche Lenindenkmal und ein Denkmal für die Soldaten, die im Großen Vaterländischen Krieg gegen die Deutschen kämpften.
Neben der Gemeindeverwaltung befindet sich ein erster kleiner Laden, er ist tatsächlich geöffnet, aber da gibt es kein Bier zu kaufen. Darum ziehen wir weiter. Nach 200m der nächste Minishop, geschlossen. Nach 400m der nächste offene Laden, diesmal mit Bier, aber ohne Zigaretten. Hier füllen wir unsere Taschen mit Massen an Kartoffeln, Gemüse, viel Knofel, Bier, Wodka, Wein, Brot, Kaffee und süßer Sahne fürs Sportgetränk.
Nach dem einstündigen Aufenthalt in Maiski paddeln wir noch weitere 5km den Bargusin hinab und finden am Ende eine sehr ausgedehnte Sandbank zur Übernachtung. 600m entfernt liegt auf dem gegenüberliegenden Ufer ein einsames Gehöft. Alle paar Minuten klatscht irgendetwas laut ins Wasser. Sind das Biber, Riesenfische oder was? Es dauert ein Weilchen, bis es mir dämmert: es sind große Erdabbrüche am Steilufer gegenüber. Das Wasser nagt heftig am Land und wir sind gerade Zeuge von erdgeschichtlichen Veränderungen.

Andrea hat das Zelt wieder schnell aufgebaut. Auch diesmal setzen wir einen Pegel.



Im Verlaufe des Abends sehen wir wieder das Wasser steigen. Könnte das diesmal kritisch werden? Ich habe da ein ungutes Gefühl, möchte aber Andrea nicht unnötig beunruhigen. So binde ich nur sicherheitshalber das Boot an den benachbarten Büschen fest, bevor wir uns schlafen legen.
:sleep:

In der Nacht muss ich mal wieder kurz raus, und bemerke dabei, dass das Wasser bereits kurz vor dem Zelt steht. Ich kann zusehen, wie es rasch eine bereits vorhandene Fließrinne füllt. Ich berichte Andrea die Situation und dränge auf Eile. Sofort wird im Licht der Stirnlampe ein neuer Schlafplatz gesucht und auf einer kleinen bewachsenen Düne 100m entfernt gefunden. Als ich zurückkomme, ist die Fließrinne vor unserem Zelt bereits 10cm tief und füllt sich rasch weiter. Zuerst werden die Rucksäcke, die draußen auf einer übergeschlagenen Baumarktplane lagern, rübergeschleppt, dann der ganze Schlafkram aus dem Zelt in der Baumarktplane transportiert, und am Ende das zarte Zelt am Stück auf die Düne getragen. Natürlich ist das hier nicht optimal, in jede Richtung ein bisschen abschüssig, aber wir lagern hier bestimmt noch fast einen halben Meter höher als die anderen beiden Zelte. ;-)

Roland schaut auch kurz nach den beiden Janas und zieht sie ein Stück höher. Bei meinem Ally vertraue ich auf die Halteleinen. Nachdem alles wieder an seinem Platz ist, können wir weiterschlafen.

Am nächsten Morgen hat sich die Welt um uns verändert. Die beiden anderen wurden vom Wasser zwar nicht erreicht, aber viel fehlte da auch nicht mehr. Der Platz vor dem Busch, wo unser Zelt stand, ist vollständig abgesoffen, das Boot liegt dagegen noch auf Land. Dieses Bild kann man direkt mit dem Zeltplatzbild vom Vorabend vergleichen:




Zum Glück ist alles gut gelaufen, keine Verluste, nichts fehlt, nichts nass geworden. Wieder so ein "Mikroabenteuer". ;-)

Start heute kurz vor 11 Uhr. Die ersten 7km ist der Fluss schmal, stellenweise nur 50 - 70m breit. Mit ø9km/h geht es flott voran. Bestes Sommerwetter, die Berge in der Ferne liegen im Dunst:


Auch heute fällt uns wieder auf, dass es über viele Kilometer hinweg keinerlei Zeltmöglichkeit gegeben hätte. Die Ufer sind mit dichtem Wald bewachsen oder sumpfig:


Das Satellitenbild zeigt ein paar verheißungsvolle Stellen 4 - 5km voraus. Hier streift der Bargusin links eine höhere Landmasse, hier müsste sich auch trockenes Land finden und Fahrspuren runter zum Ufer sind auch zu erkennen.

Großer Steilhang:


Hier kann ich mir endlich mal kurz die Beine vertreten und schaue mir die Sache von oben an:


Schöne Blicke quer über das gesamte Bargusintal:


Und hier habe ich auch mal an den Farben gespielt:


Auch hier ist die Erosion aktiv bei der Sache, ständig klatschen größere Sandmassen ins Wasser.



Schon bei den Steilufern und auch hier sehen wir uns 5 verschiedene potentielle Zeltplätze an (Dörte hat Hunger!), finden aber nichts perfektes.

Eine auf dem Luftbild gut geeignete Stelle war eine Zufahrt von Land aus. Der hohe Wasserstand lässt uns in der Fahrspur noch einige Meter ins Land paddeln. Das flache Wasser hier hat sich in der Sonne gut aufgewärmt, bestimmt 30°C, perfekt für Warmduscher wie mich.

Leider ist der Platz bereits besetzt. Normalerweise lassen wir uns davon nicht unbedingt abschrecken, die Leute gehen ja abends wieder, aber hier ist das anders. Wir hören das Paar in den 30ern schon von weitem keifen. Sie hat nämlich die ganze Zeit mit aller Gewalt, Schlägen und den wüstesten Beschimpfungen ihren Lover zu einem Schäferstündchen "überreden" wollen. Beide sind bereits sehr gut abgefüllt, und er ist nun schon zu besoffen, um wie vom Weibe gewünscht tätig zu werden, lag nur noch apathisch herum. Und nun platzen wir da rein. Als wir bei ihnen anlegen, richtet sich der Zorn des Weibes gegen uns. Auch wir werden unflätig beschimpft, die russische Sprache ist sehr reich auf diesem Gebiet, und Roland bekommt Angst um unsere körperliche Unversehrtheit. Hängen geblieben ist bei mir nur das Wort "Romantika", sie beschwerte sich, dass wir ihr hier die Romantik stören. "Romantika" - eingebettet in eine Schimpfkanonade! Schwierig, da nicht zu lachen.

Jedenfalls wollen wir das junge Glück nicht länger stören, verlassen den ansonsten richtig guten Platz und suchen weiter.

4km weiter, nach 45 Tages-Kilometern, ist es dann aber endlich soweit, wir legen 18 Uhr an der Uferwiese am Dorf Сахули an und schlagen unser Lager auf. Hier in Russland stört sich normalerweise niemand an Campern am Dorfrand. 150m sind es bis zu den nächsten Häusern. Die Wiese ist kurzrasig abgefressen von Rindern und Pferden, Holz gibt es im Wäldchen nebenan, sogar Mülltonnen liegen am Ufer, ein fast perfekter Campingplatz.



Wo wir nun schon mal so nah am Dorf zelten, möchte ich auch dessen Vorteile nutzen. Der erste von unseren 2 Kameraakkus war bereits leer und so gehe ich mit Akku und Ladegerät zum nächsten Haus auf der Suche nach Strom (die Kamera ist leider noch kein USB-ladefähiges Modell, sonst hätte natürlich das Solarmodul alles geladen). Vom Fluss her kommend muss ich über einen Zaun springen und komme über den Garten zum Haus. Der kläffende Hund bleibt zum Glück auf Abstand. Das hätte ich wohl nicht gemacht, hätte ich nicht vorher einen Burjaten mit Angel genau diesen Weg nehmen sehen. Auf mein Klopfen öffnet eine junge Mutter, Burjatin, und ich stelle mich vor. Sie versteht meine Erläuterungen (überwiegend Zeichensprache) und steckt das Ladegerät an die Steckdose. Morgen früh kann ich ihn wieder abholen.


Spartaner Offline




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10.11.2018 20:31
#2 RE: Bargusin - Baikal, Sibirien 2018 Antworten

24. Juli. Nach dem Frühstück springe ich wieder über den Zaun zur freundlichen Burjatin, hole den aufgeladenen Akku ab, und lasse eine Tafel Schokolade "для детей" da.
Anschließend geht es weiter bis nach Mogoito/Могойто:




Der Ort liegt wieder sehr dicht am Wasser, also ideal zum Einkaufen. Wieder ein toter Sappo: :-(


Natürlich wissen wir nie, wie weit es bis zu einem geeigneten Laden sein wird. Aber hier klärt sich das schnell. Wir brauchen nur 220m bis zur ersten Straßenkreuzung hochzulaufen, da finden wir einen Laden. Genau wie die Minishops und Denkmäler in Maiski wird auch dieser Laden bald in der OSM zu finden sein.

Innen ist es relativ beengt. Große Säcke mit Mehl, Zucker, Salz, Buchweizen und was man sonst noch so braucht stehen an den Wänden. Wir arbeiten unsere lange Liste ab und bekommen hier wirklich fast alles was wir wollen:


Die Verkäuferin rechnet Multiplikationsaufgaben mit dem Taschenrechner, und summiert alle Einzelposten auf dem Абак, dem Abakus, wie er hierzulande noch in fast allen kleinen Läden zu finden ist:

Nachmittags landen wir im Stadtpark von Kurumkan an. Hier sind wir zwar nicht alleine, etliche Leute sind Baden, aber die Wiese ist wieder kurzgefressen, Mücken gibt es kaum, und neue Sitzgelegenheiten und Tisch bieten etwas zusätzlichen Komfort:


25. Juli 2018, die ganze Zeit haben wir diese phantastische Bergwelt zur Rechten:


Der Dunst lässt sich mit Bildbearbeitung etwas lichten:


Im weiteren Verlauf paddeln wir mehrfach ganz eigenartige Abkürzungen, die mehr oder weniger geradlinig die Innenkurven mancher Mäander durchziehen:


Ich habe mich gefragt, ob das natürlich ist, oder von Menschenhand gemacht wurde. Ich kannte nämlich solche Abkürzungen schon aus den Stochid-Sümpfen. Dort war ich mir eigentlich sicher, dass das ein menschliches Werk war. Aber jetzt sehe ich solche Abkürzungen zB auch mitten im Pantanal, wo ganz sicher niemand gebaggert hat. Auch sehen die Abkürzungen dort genauso aus wie hier, so dass ich jetzt der Überzeugung bin, sie sind natürlich entstanden.

Die Abkürzungen sind oft schmale Kanäle, und sind eine schöne spannende Abwechslung. Oft fühlt man sich dort wie im Dschungel:


Man kann mal den breiten Fluss verlassen, und weiß nicht, ob man denn auch wirklich durchkommt. Manche der Abkürzungen sind, bereits von außen sichtbar, durch gefallene Uferbäume unpassierbar. Die versuchen wir gar nicht erst.

Im Tagesverlauf ziehen aus West vom Baikal her kommend immer mehr Wolken auf:

Auch dieses Foto wurde manipuliert, um den Dunst zu schwächen. Das ist sicherlich der Staub aus der Gobi. Von Waldbränden dieses Jahr habe ich noch nichts gehört.

Wir landen an einem kleinen Pappel-Hain, der leicht erhöht auf einer flachen Sandinsel im Sumpf steht. Ringsherum Sümpfe, auf der Wiese nebenan steht Wasser. 250m südöstlich liegt eine Farm, auf der gearbeitet wird. Ein kleiner alter Traktor schneidet Gras und wendet Heu. Auf den alten sowjetischen Militärkarten steht hier ОТФ Унэгэтэй. OTF steht für овцеводческая товарная ферма, also eine Schaffarm.

Die Uferkante liegt nur wenige cm über dem Wasserspiegel. Dort stehen unsere Zelte. Wir hoffen natürlich, dass das Wasser nicht wieder anfängt zu steigen.



Wir dösen erst mal eine wenig, ich koche eine Brühe. Dann meint Roland ½6 plötzlich beim Blick auf den Himmel, in einer ¼h wird es wohl anfangen zu regnen.



Damit sollte er recht behalten. Der Wind wird immer heftiger. Zwischen den Bäumen auf dem erhöhten Bereich spanne ich mit Dörte in Windeseile das Tarp, während Roland sein Zelt sichert. Dann geht es auch schon los. Ein heftiger Sturm rauscht über uns hinweg, vielleicht eine ½h lang, es pladdert kräftig.

Diesmal hat sich das Tarp tatsächlich mal gelohnt. Allerdings müssen wir es noch extra sichern, damit es nicht zerschlägt. Es blitzt und donnert.

Um 7 Uhr abends ist das gröbste durch. Wilddramatisch sieht es noch da drüben in den Bergen aus:


In der Nacht und am nächsten Morgen regnet es. Mehrfach müssen wir Wasser aus dem Zeltinneren wegwischen und aufpassen, dass es nirgends auf die Schlafsäcke tropft. Das Zelt, ein MSR Freelite 3, entäuscht uns etwas. Der Stoff wird im Regen sehr schlaff, muss nachgespannt werden, und wenn das nicht perfekt klappt, dann liegen Teile des Außenzeltes auf dem Meshgewebe auf und es tropft durch. Ob es nun tatsächlich undicht ist, oder ob so viel Kondenswasser anfällt, das lässt sich schwer entscheiden.
Vormittags hört der Regen auf. Es nieselt zwar immer wieder mal weiter, aber nichts dramatisches. Vor den Bergen hängen hübsche Wolkenformationen:


½3 gelangen wir an die Mündung der Argada in den Bargusin. Hier schrammt der Fluss wieder am Festland und hat 50 - 70m hohe Steilhänge abgegraben:


Die Gelegenheit nutze ich wieder und schaue mir die Landschaft von oben an. Tolle Blicke auf den Sumpf, der hier durch den Sander von Osten her ziemlich stark eingeengt wird:






Schön sieht man die verschiedenen Arme des Bargusin mäandrieren, die Argada, dazu das Gebirge gegenüber, einfach eine tolle Landschaft. Und alles so frischgrün! Selbst die Steppenvegetation hier an den Trockenhängen ist nicht braun verdorrt, sondern ebenfalls frisches grünes Gras, wenn auch nicht sehr dicht stehend.

Ab und zu lässt sich jetzt auch mal die Sonne sehen:


Gegen 4 Uhr landen wir an und beziehen Lager am Rande der Steppe. Der Vorteil genau dieser Stelle ist eine Baumgruppe, die dem Tarp Halt geben soll und Holz liefert. In der Steppe sieht es ja ansonsten recht mau aus mit Feuerholz. ;-)
Zum Abendbrot gibt es diesmal Kascha aus Греча, Buchweizengrütze, dazu Gemüse und Hühnchen aus der Dose. Dieses unter Russen früher weitverbreitete Nahrungsmittel hat eine enorme Quellfähigkeit, und schmeckt eigentlich auch ganz gut. Eine Hand voll Buchweizen füllt am Ende einen großen Topf.





Schon während des Essens frischt der Wind auf und erreicht später in der Nacht wieder Sturmstärke. Aber entgegen meiner Hoffnung ist das nicht nur eine kurze Sturmfront, die schnell durchzieht, sondern der Wind hält an, und wird dabei immer stärker. Ich vermute schon, das ist ein umgedrehter Bargusin-Wind. Also einer, der in die "falsche" Richtung bläst. Der richtige Bargusin, der Wind, der in dem berühmten Baikal-Lied besungen wird, bläst aus dem Bargusin-Tal raus auf den Baikal-See. Ähnlich wie die Adriatische Bora oder der französische Mistral ist er ein typischer Fallwind, der Orkanstärke erreichen kann.
Vor dem Schlafengehen legen wir den Ally dicht an Rolands Möhre, so dass die Boote nicht so leicht von Windböen davongetragen werden können. In Lettland an der Gauja ist mir genau so etwas schon mal passiert …

Die ganze Nacht bläst der Sturm und drückt die Luv-Seite des Zeltes in den Böen runter bis auf die Schlafsäcke. Ich befürchte den baldigen Gestängebruch und halte von innen dagegen. Natürlich haben wir gehofft, das endet bald, aber diese Hoffnung wurde enttäuscht. Erst als die Sonne wieder aufging, entschließen wir uns umzuziehen. Dabei entstanden diese Fotos (auf denen man eventuell Föhnwolken erkennen kann?):


So wurde das Zelt immer wieder eingedrückt (wobei ich im Foto keine Extremsituation erwischt habe):


Phantastisches Licht zu diesem Zeitpunkt, und ungewöhnlich klare Sicht im Vergleich zu den Vortagen:


Das Zelt bauen wir schließlich inmitten der Büsche hinter der Baumgruppe auf, und haben dort tatsächlich spürbaren Windschutz. Endlich können auch wir noch 2 Stündchen ruhig schlafen, bevor uns die Sonne aus dem Zelt heizt.

Da der Wind weiter anhält und uns auf dem Fluss direkt entgegen blasen würde, legen wir heute einen Ruhetag ein.
Nachmittags bekommen wir Besuch von einer Herde neugieriger Steppentiere:


Abends um 8 zeigt sich noch eine andere Herde Steppentiere:


Die Rinder wie die Pferde laufen idR alle den ganzen Tag frei herum, ohne Hirten, und die Rinder gehen abends auch wieder alleine in den heimischen Stall (die Pferde bleiben in der Steppe und leben zumindest den ganzen Sommer halbwild).
Die haben wirklich ein gutes Leben dort. Den Pferden sieht man besonders an, dass sie sich wohlfühlen und manchmal nicht hinwissen mit ihrer Kraft. Dann tollen sie ungestüm herum, oder fallen mal eine Runde in Galopp.

28. Juli 2018, Heute bläst der Wind nur noch schwach aus Süd, dazu freundliches Wetter, bestens zum Paddeln.
Hohe Abbruchkanten, oben weitgehend kahle Steppe:


Diesmal kommen uns die Steppentiere viel näher als gestern:






Herrlich anzusehen, wenn die ganze Herde in Galopp verfällt.

All die Spuren auf den Steppenhängen sind von den Tieren:


Diesem Bild wurde dem Dunst wieder mit Bildbearbeitung entgegengewirkt:




Anlanden in Хилгана:


Andrea, Dörte und Roland gehen Einkaufen, ich bleibe diesmal bei den Booten. Bevor die drei losziehen, gelingt es mir noch, wieder einen Kameraakku zum Aufladen im nächsten Gehöft abzugeben.

Hinter Хилгана wird die Bargusin-Aue wieder viel breiter, die Engstelle in der Mitte des Tales ist vorbei. Der Bargusin verzweigt sich hier mehrfach (Map). Wir bleiben auf dem Hauptarm, der mitten durch das große Sumpfgebiet führt. Wir haben jetzt den Bereich mit dem geringsten Gefälle erreicht, der von einer Vielzahl an Flussarmen und Seen durchzogen ist.

Schon bald beginnt Dörte wieder unruhig zu werden, sucht nach Rastplätzen, die hier im Sumpf naturgemäß selten sind und noch seltener optimale Bedingungen bieten. Zum Glück sagen mir die Satellitenbilder, dass es auch weiterhin vermutlich noch erhöhte Stellen im Sumpf gibt. Ich biete ihr zB einen Platz in 10km Entfernung (von Хилгана) an, auf dem ich 2 Gehöfte erkenne, die vermutlich bereits verlassen sind.

Das erste dieser Gehöfte ist allerdings doch bewohnt, und da wir nicht unbedingt auf seinem Weideland direkt neben dem Haus zelten wollen, versuchen wir unser Glück beim nächsten und werden fündig:




Hier können wir den Abend in aller Ruhe ausklingen lassen. Zwar ist der Boden mit einer dicken Schicht sehr alten Pferdemist bedeckt, aber der ist vollkommen ausgetrocknet, man riecht nichts und es schmiert nichts. Mücken halten sich in Grenzen. Nach dem Abendbrot gibt es wieder Sportgetränk und in den angrenzenden flach überschwemmten Flächen kann ich warm duschen.

Den Ally nehme ich heute nicht aus dem Wasser, er wird nur an einem Strauch festgebunden.


29. Juli 2018, wieder ein strahlender Morgen, wenig Wind, Stille in der Landschaft. Das Bargusin-Gebirge mit dem Sibirischen Matterhorn liegt heute klarer in der Sonne (und noch klarer nach Bildbearbeitung).



Heute gleitet es sich besonders angenehm auf der spiegelglatten Wasserfläche. Ohne Wind bestimmen Insekten und Vögel die Geräuschkulisse.
Mich begeistert das Sibirische Matterhorn. Solange es zu sehen ist, wird draufgehalten ;-)



Das Wasser steigt hier langsam weiter an, wird aber von den weitläufigen Auen weitgehend absorbiert. Einstrom vom Bargusin über die Uferkante in die Aue, die immer höher überschwemmt wird.

Roland in seiner Möhre, mit Bargusin-Gebirge. Dazu zwei Libellen im Vordergrund (Zufall):


Größere Landflächen stehen unter Wasser. Eine große Schleife können wir über flach überschwemmte Weiden abkürzen:


Dort steht ein einsames Pferd im Wasser:


Beim nächsten Gehöft kommt ein Viehzüchter zu uns ins Wasser geritten, um zu erfahren, wer wir Exoten sind und was wir hier treiben. Vor allem wundert er sich, dass kein Russe dabei ist. Kurze Unterhaltung:


Ein paar Kilometer weiter. Der Besitzer dieses Gehöfts sieht es nicht gerne, wenn jemand auf seinem Land pausiert:


Als wir 350m entfernt an einer Landspitze die nächste Badepause einlegen, kommt er angeritten, aber diesmal nicht mit freundlicher Neugierde, sondern mit dem Ziel, uns barsch zu vertreiben. Nachdem er mitbekommen hatte, wer wir sind und dass wir nicht hier übernachten wollen, wurde er zugänglicher. Wir sind dann aber doch gleich weitergepaddelt.

Roland hat die Angewohnheit, Nachmittags eine kurze "Powernapping"-Pause einzulegen. Das funktioniert bei ihm tatsächlich, eine ¼h Augen zu, und er ist wieder frisch. Und ist auch dringend nötig. Erst kürzlich ist er auf der Ostsee eingenickt und mit seinem Kajak gekentert (hat aber Glück gehabt und wurde rausgefischt).

Sein Nickerchen hat Roland dann ein Stück weiter im Boot am Ufer liegend gemacht. Wir haben ähnlich Pause gemacht, natürlich ohne echten Schlaf. Aber immerhin konnten wir mal die Beine hochlegen und den Hintern entlasten.

Die Hochgebirgskulisse haben wir hinter uns gelassen. Ab jetzt und auf dem weiteren Weg liegt eine vorgelagerte Mittelgebirgs-Kette zwischen uns und dem Hochgebirge. Die höchsten Gipfel sind ~1400m hoch. Die dem Tal zugewandten Hänge sind bis in ~1000m Höhe Steppe/Weideflächen, die auf feuchteren Arealen wie Nordhängen und Talgründen mit Waldflächen durchsetzt sind:


Kurz vor 4 landen wir in der Nähe der Straße an. Nebenan sitzen zunächst 2 Burjaten beim Angeln. Am Abend fahren sie nach Hause. Dabei krachen sie mit ihrem Lada bergauf durch schwierigstes Gelände, nur aus Rücksicht auf uns, denn da wo wir lagern wären sie einen bequemen Fahrweg nach oben gekommen.



Es ist noch früh am Tag, und so mache ich noch eine kleine Wanderung die naheliegenden Hügel hinauf, um das Bargusin-Tal mal wieder von oben zu sehen. An einem Wäldchen nach knapp 2km beende ich den Aufstieg und genieße die Sicht über das Tal. Blick von ganz oben aus 800m Höhe, 330m über dem Talboden, über die Sümpfe der Bargusin-Senke und zum Ikat-Gebirge auf der gegenüberliegenden Seite:


Hier mit automatischer IrfanView-Bildkorrektur zur Kontrastverstärkung:

Sicher sind diese Farben schon übertrieben stark, aber so kann man die Strukturen in der überschwemmten Aue gut erkennen.

Ich hatte versprochen, hier von den Hügeln Brennholz mitzubringen, weil es unten am Ufer keines gab. Hier oben binde ich nun ein paar kleine gut durchgetrocknete tote Lärchen und Kiefern mit einem Packgurt zusammen und ziehe das ganze ins Tal runter.

Überhaupt stehen in den Wäldern entlang des Bargusins auffällig häufig vertrocknete tote Einzelbäume und ganze Baumbestände. Ob diese nun tatsächlich nur aus Wassermangel oder eventuell durch Waldbrände abgestorben sind, kann ich aus der Ferne schlecht erkennen. Hier scheint es eher der Wassermangel zu sein.

30. Juli 2018, Die Berge des Bargusin-Gebirges sind hier nicht mehr so hoch und schroff wie bisher, aber immer noch sehr schön anzuschauen:


Der Fluss schlängelt sich bis hierher dicht am Auenrand und der Straße. Anschließend geht es wieder tiefer in den Sumpf.
Gegen 12 sehen wir schon von der Ferne fette Schauer auf uns zuziehen, der Wind frischt auf. 7x müssen wir Abwettern. Meist suchen wir hinter Uferbüschen Schutz vor Wind und peitschendem Regen:


Aber nach einer ¼h ist es jeweils wieder vorbei und wir können ein Stück weiterpaddeln:


Kaum haben wir nachmittags die Zelte aufgebaut, fauchen wieder Sturm und Schauer über uns rüber:






Dörte, die Spezialistin fürs Lagerfeuer-Entfachen unter widrigsten Bedingungen, benötigt heute 3 Versuche, ehe sie mit Birkenrinde das Feuer hinter dem Windschutz gezündet bekommt.

Den ganzen Abend wechselt ständig der Anblick der Wolken und der Berge. Das Wetter kommt heute alles aus Richtung Baikal herangezogen. Eigentlich hatte ich nicht vermutet, dass hier fast in der Mitte des asiatischen Kontinents so viel "Wetter" ist. Bis zu den nächstgelegenen Meeren Arktischer Ozean, Ochotskisches Meer und Gelbes Meer sind es jeweils ~2000km. Bis zur Kara- und der Barentsee, woher mMn bei Westwindlagen die Tiefdruckgebiete hier herziehen, 3000 - 4000km, zum Golf von Bengalen ebenfalls ~4000km. Es sind wohl die Hochgebirge, die hier zu dermaßen abwechslungsreichen Wetter führen.

31. Juli 2018, der nächste Morgen ist wieder sonnig, aber der Wind weht weiter stark.



Die hohe Dünung zeigt uns schon, dass es um die nächste Kurve herum anstrengend wird. Wieder müssen wir gegen den Gegenwind kämpfen. Während wir auf ruhigen Streckenabschnitten um die 7km/h fahren, erreichen wir gegen den Wind nur noch 4km/h, beides mit Hilfe der Strömung des Flusses.

Gegen 11 Uhr kommt der Ort Bargusin in Sicht. Im Ort wollen wir Einkaufen und machen erst mal eine kurze Pause:


Dann laufen wir hoch in die Stadt, während Roland bei den Booten bleibt und sich zu seinem Nickerchen bettet.

Der Zentrale Platz (Центральная площадь) wird von einem historischen Panzer bewacht:

Eigenartigerweise zielt er genau auf Genossen Lenin hinten rechts. Ich weiß gar nicht, ob das erlaubt ist.

Die Sorge um Waldbrände inspiriert Volkskünstler zu dramatischen Darstellungen, die emotional ansprechbare Mitmenschen zur Vorsicht animieren sollen (rechts):

Links wird die Waldbrandgefahr für Leute erläutert, die rationalen Argumenten zugänglich sind, und in der Mitte wird den Uneinsichtigen mit Strafen gedroht.

Am selben Platz finden wir diesen Sitz der Kommunisten von Bargusin:

Die Formensprache ist noch dieselbe wie vor 30, 50 oder 70 Jahren.

Noch weiter zurück führt uns dieses einstmals schöne Holzhaus wohl bis in die Zarenzeit:


Die Festung Bargusin wurde 1648 von Kosakenataman Iwan Galkin gegründet und hatte von 1783 bis 1927 den Status einer Stadt. Unter den Kommunisten wurde es wieder zum Dorf degradiert. Heute leben hier ~5700 Menschen.

Schweizer Nobel-Touristen-Karosse. Wir haben sie später noch einmal auf dem Weg zur Heiligen Nase getroffen. "Sibirien lässt niemanden kalt", heißt es auf der Karosse:

"Brechen Sie auf in die schier endlosen Weiten der faszinierenden und wenig bereisten Region rund um den Baikalsee". Ab 2400€ für 2 Wochen ist man dabei (exklusive Flug, alkoholische Getränke, Restaurantbesuche etc.). Für ähnliche Preise könnte ich ja mal Paddeltouren auf dem Bargusin anbieten. Ich wäre gespannt, ob sich Kundschaft findet. ;-)

Zurück am Ufer hat sich ein weiteres Faltboot zu uns gesellt. Es sind 2 Paddler aus Irkutsk.


Olga und Vitali sind deutlich schneller als wir unterwegs, kein Wunder mit ihrem schnellen Triton Варзуга 3 (ähnlich dem bei uns erhältlichen Triton Vuoksa 3).

Unterhalb vom Ort Bargusin ist die breite Aufschüttungsebene der Bargusin-Senke zu Ende, hier treffen Bargusingebirge und Ikat-Gebirge eng zusammen und ab hier hat der Fluss wieder ein erheblich höheres Gefälle. Lag es auf den letzten 70km im Sumpfland noch bei 0.08m/km, so sind es hier auf den nächsten 4km im Mittel wieder 1.9m/km. Entsprechend flott wird die Strömung werden. Wir erinnern uns, dass wir im Verlaufe der Reise von mehreren Seiten gewarnt wurden wegen Wildwasser hier im Unterlauf.

Aber in der Realität sieht es mal wieder viel einfacher aus als erwartet. Im Hochwasser sind alle steinigen Stellen abgesoffen, wir können überall problemlos durchfahren. Mit bis zu 13km/h sausen wir den Fluss hinab.


Weit fahren wir nun aber nicht mehr. Roland haben es die großen Schottersteine am Flussufer angetan. Erstmals seit dem schnellfließenden Abschnitt durch die Taiga am Beginn der Flusstour finden sich hier große Steine und genügend Brennholz, um eine Sauna zu bauen und anzuheizen. Diesen günstigen Umstand wollen wir nutzen und landen kurz nach 3 Uhr bereits an, um das Lager aufzuschlagen.




01. August, heute wollen wir also saunieren. Doch vor dem Schweiß steht der Fleiß. Wir haben immerhin bereits mehr oder weniger Erfahrung mit dem Saunabau in der Wildnis. Ich war schon einmal in Lappland am Kaamasjoki dabei, Dörte in Karelien, und für Roland ist Saunabau in Russland quasi Alltag. Nur mit der 1. Gruppe die Wochen davor auf der Uda wurde es aus Mangel an großen Steinen leider nichts. Die Planen waren bereits besorgt.

Da wir alle wissen, wie es am Ende aussehen soll, teilen wir die Arbeit auf. Roland und Dörte kümmern sich um den Saunaofen, und ich um die Saunahütte. Fertiger Saunaofen:


Vielleicht nicht das mächtigste Exemplar eines Saunaofens, aber Dörte ist sich sicher, er funktioniert so, und macht sich ans anheizen.
Endmontage des Saunahäuschens nahe dem Einsatzort:

Das Wetter ist den ganzen Tag ungemütlich, immer wieder nieselt es mal, manchmal auch schauerartig verstärkt.

Nachdem das Feuer 4h gebrannt hat, wird möglichst jeder Brandrest aus dem Ofen entfernt, damit wir später beim Aufguss nicht ersticken, und die fertige Hütte drüber gestellt. Zum Schluss wird noch die große Plane übergeworfen, fixiert und abgedichtet. Es muss alles möglichst dicht sein, damit die Hitze auch gehalten wird. Fertige Sauna:

Die richtig heiße Männersauna in Lappland 2013 hat übrigens bereits beim Planeüberwerfen die Deckplanen zerschmolzen, da war richtig Hitze. :roll:

Nach dem Abendbrot ist es dann soweit, schwitzen und baden sind angesagt:


Wir drängeln uns alle ins Saunahäuschen, der Platz reicht aus, das Wasser verdampft zischend auf den heißen Steinen und es wird kurzzeitig sehr warm. Zwischendurch kühlen wir uns im Fluss ab. Das ist an der steilen Uferkante auch nicht ganz einfach, wir wollen ja nicht von der Strömung erfasst und weggetrieben werden, können uns aber an einem untergegangenen Ufergebüsch festhalten.

Nach dem 2. Durchgang kühlt die Sauna bereits spürbar ab, die Wärmekapazität der kleinen Steinchen ist relativ gering. Dörte versucht es noch ein 3. Mal, aber dann bricht auch sie ab.

Dennoch hat die Sauna funktioniert. Es bleibt dieses wohlige, gelöste Gefühl nach dem Saunagang, ein Gefühl von Tiefenreinigung.

Am Ende belassen wir den Ofen, das Gestell und die Plane an Ort und Stelle, und sind uns sicher, dass sie Nachnutzer finden wird. Roland schreibt der 1. Gruppe: "Vielen Dank an die Uda Gruppe für die Planen. Mit Eurem Einvernehmen spenden wir eine Sauna nach deutschem Qualitätsstandard an das befreundete burjatische Paddelvolk."

Am nächsten Tag ist das Wetter immer noch diesig, der Himmel bedeckt und es nieselt ab und zu. Es geht weiter sehr flott durch das Mittelgebirgstal, anfangs mit einem Schnitt von 13km/h. Der Fluss ist hier 150 - 200m breit. Die hier noch bis zu 1700m hohen Berge stehen links und rechts nah am Fluss, bedeckt mit jetzt im gedämpften Licht dunkler, düster wirkender Taiga.





Neues Altgläubigenkreuz auf einer Uferwiese:


Vereinzelt liegt ein Dorf am rechten Ufer, hier Зорино:


Allmählich wird der Talgrund breiter, die Berge treten wieder zurück. 13 Uhr, gegenüber von Adamowo machen wir eine Pause. Hier mündet links die Kleine Gusicha in den Bargusin. Ein schöner Platz, und da sich wieder die Angst breitmacht, heute evtl. keinen guten Lagerplatz mehr zu finden, beenden wir hier den Paddeltag.

Naja, ich wäre gerne noch weiter gefahren. Stattdessen paddele ich nach der Pause jetzt mal alleine den kleinen Taigafluss stromauf, rein in die Wildnis. Ich will einfach mal sehen, wie ein Taigaflüsschen in seinem Naturzustand aussieht, wie die Ufer beschaffen sind, die Tiefenverhältnisse, die Vegetation über und unter Wasser.
Die Mündung ist wegen dem Hochwasser des Bargusins abgesoffen, aber nach 3 - 400m spüre ich die Strömung des Flusses. In engen Windungen schlängelt sich der 10 - 15m breite Fluss durch die erst offen sumpfige, später bis an die Ufer dicht bewaldete Aue.



Das Wasser ist sehr klar, man kann überall den Grund sehen, und es ist auch nicht deutlich eingebräunt von Huminstoffen aus den Mooren. Das geht nur, wenn das Wasser überwiegend aus den Bergeshöhen zusammenströmt, nicht aus den überall flussbegleitenden Mooren. Ich bewege mich so leise wie möglich und hoffe natürlich darauf, jetzt mal die Tiere des Waldes, Reh, Hirsch, Elch, Wolf oder Bär, zu Gesicht zu bekommen.

Aber auch dieser Ausflug verläuft entsprechend den Gesetzen der Wahrscheinlichkeit unspektakulär. Stattdessen entdecke ich Fischreusen, höre den Fischer irgendwo hinten im Wald werkeln, und nähere mich dem Dorf Гусиха.
Ganz so weit komme ich aber nicht. Immer mehr Baumstämme liegen quer im Fluss, und als gar kein Durchkommen mehr ersichtlich wird, kehre ich um. Ich habe keine Lust auf Portagen über die Baumstämme oder durch das sumpfige Gelände an den Ufern. Zudem beginnt es wieder zu regnen.
Die Frauen haben derweil getan, was Frauen eben so tun, Blumen gepflückt und das Lager wohnlich eingerichtet:






Dann kommt Dörte mit reicher Ausbeute vom Pilze suchen zurück, sortiert und analysiert den Fang:




Die vielen Pfifferling sind Riesenexemplare und werden bis morgen halten. Wir werden schon genug damit zu tun haben, heute die andere Hälfte zu verspeisen. ;-)

Morgen dann wird es soweit sein, in 24km erreichen wir den Baikal, diesen ganz besonderen See im Herzen Sibiriens. Das wird ein spannender Augenblick, denn dort an der Mündung wird sich entscheiden, ob wir entsprechend meines Plans weiter zur Heiligen Nase paddeln können, oder ob Wind und Wellengang dies vereiteln werden.

03. August, die Talaue wir immer breiter.




Zum Einkaufen steuern wir Ust-Bargusin an. An unserem Sandstrand liegen 3 Schrottschiffe aus Sowjetzeiten auf Land:


Während die 3 Einkäufer Rucksäcke, Taschen und Geld rauskramen, versuche ich wieder mal, einen Kamera-Akku zum Aufladen abzugeben. Ich versuche es direkt beim Gästehaus "Причал". Das Tor ist verschlossen und es findet sich keine Klingel. Auf einem Holzhaufen kann ich über den hohen Bretterzaun blicken, meine Rufe erreichen aber niemanden. Dabei haben wir bereits kurz zuvor eine Frau auf dem Gelände gesehen.

So versuche ich es nun mit dem Telefon, die Nummer steht draußen am Zaun. Beim zweiten Versuch habe ich die russische Nummer mit der richtigen Vorwahl eingegeben, und es meldet sich jemand. Nun, ich spreche kaum Russisch, und am Telefon ist das wirklich ein Handycap. Zumindest kann ich rüberbringen, dass ich vor dem Tor stehe und die Frau bitten, aufzumachen.

Kurz darauf öffnet sie, und ich kann mit der gewohnten Mischung von minimalem Russisch und Zeichensprache meinen Wunsch kundtun. Kein Problem, sie nimmt das Ladegerät mit dem Akku mit. Das Tor bleibt jetzt unverschlossen, und wenn ich den Akku zurück haben möchte, brauche ich mich nur zu melden.

Die Einkäufer ziehen jetzt los, ich halte Wache, und da die Wege zum nächstgelegenen Supermarkt in Ust-Bargusin lang sind, dauert es über eine Stunde, bis sie wieder zurück sind.

Die letzten 3km bis zum Baikal führen uns entlang des linken Ufers, vorbei an Hafenanlagen, Kais und etlichen aufgegebenen Schiffen, die jetzt verrotten, und wenigen intakten Schiffchen, die auch heute noch über den Baikal fahren. Man merkt sehr deutlich, dass jegliche Wirtschaftsaktivitäten seit Sowjetzeiten stark zurückgegangen sind.
Der Wind war den Tag über schon recht stark und weht aus der Hauptwindrichtung Südwest, also uns genau entgegen. Jetzt am Nachmittag scheint er aber bereits wieder etwas abzuflauen. Ich habe immer noch keine Ahnung, wie der Wellengang auf dem Baikal heute aussehen wird, und bin sehr gespannt, ob das für uns fahrbar sein wird.

Die Mündung des Bargusin in den Baikal ist keine breite Trichtermündung (dazu fehlt es an Ebbe und Flut), sondern im Gegenteil eine eigentlich ziemlich enge Stelle am Strand. Sie misst nur 80m, wenig im Vergleich zum Fluss oberhalb von Ust-Bargusin, wo er 300m breit ist. Die Mündung ist deshalb so eng, weil bei Wellengang der quer zum Ufer wandernde Sand die Mündung versucht zuzusetzen.

Der gesamte Durchfluss des Bargusin muss nun durch diese enge Öffnung, und das hat eine ziemliche Strömungsgeschwindigkeit zur Folge. Für uns aber kein Problem. Wir treiben diesen erhabenen Moment quer durch die Engstelle, um gleich rechts anlanden zu können.

An der Mündung stoppen wir zu einer Pause:


Roland versucht den Bakal gnädig zu stimmen mit einem Schluck Wodka direkt ins Wasser des Sees. Das scheint zu funktionieren, denn im weiteren Verlauf des Tages nimmt der Wind weiter ab und die Wellen des Sees sind heute wirklich vernachlässigbar.
Was für eine Chance, wir können auf dem See weiterpaddeln!



Nach einer ¼h paddeln wir weiter. 25km vor uns liegt das Bergmassiv der Heiligen Nase, heute schön klar zu erkennen. 21km sind es zu paddeln bis an den Fuß der Berge, alles entlang eines schönen Sandstrandes.
4km nördlich der Bargusin-Mündung landen wir am Strand an. Der Platz ist gut, ein herrlicher Blick aufs Wasser der Bucht, die umrahmt ist von der Gebirgskette des Ikat-Gebirges im Süden und dem Bergmassiv Heilige Nase im Norden. Manchmal meinen wir, sogar bis zur Insel Olchon schauen zu können, 90 - 100km entfernt.
So hängen wir wieder längere Zeit im Sofa ab und gehen baden. Das Wasser ist gar nicht so kalt, wie von den Reiseführern angedroht. In denen heißt es, die Wassertemperatur überschreitet nur selten 14°C. Aber in den Buchten kann das Wasser wärmer werden, und hier, wo wir jetzt lagern, zieht eventuell auch noch das warme Bargusin-Wasser vorbei.
Gegen Abend sehen wir hinten vor der Heiligen Nase eine auffällige helle Schicht Nebel über dem Wasser, die sich langsam nach Osten hin ausbreitet:


Wahrscheinlich ist dort die Wasseroberfläche deutlich kälter, so dass sich in der Luftschicht darüber der Nebel bildet.

Zum Abendbrot gibt es die Riesen-Pfifferlinge, die Dörte gestern gesammelt hat:


Schön durchgetrocknetes Treibholz findet sich massenhaft hier am Baikalufer:


Spartaner Offline




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10.11.2018 20:33
#3 RE: Bargusin - Baikal, Sibirien 2018 Antworten

04. August 2018, in der zweiten Nachthälfte frischt der Wind auf, es regnet und die Brandung wird laut. Wir sind froh, die windgeschütze Ecke für das Zelt gewählt zu haben, obwohl das gestern Abend noch gar nicht nötig war. Auch am Morgen hält der Wind an und wir werden erst mal nicht starten heute. So habe ich genug Zeit, die Permits für den Nationalpark zu besorgen, für 4 Mann mal 4 Tage je 100₽.
Nachmittags bin ich wieder zurück im Lager. Das ging flotter als gedacht. Der Wind scheint etwas abzuflauen, und so bin ich mit Roland einig, man könnte heute eigentlich noch ein Stück weiterpaddeln. Nur die Damen sind ausgesprochen skeptisch.
Ich weiß zwar auch noch nicht, wie wir bei der Brandung halbwegs trocken ins Boot kommen sollen, aber das macht ja gerade den Reiz aus, das mal zu probieren. Draußen auf dem See würde es sicherlich einfach zu paddeln sein, es sind nicht sehr viele Schaumkronen zu sehen.

Unser Starschik steigt an Land ein, schließt die wasserdichte Spritzdecke und wird von 2 Helfern durch die Brandung ins Wasser gezerrt.





Dörte bekommt von uns denselben Service. Doch die oder den letzten beißen die Hunde. Ich stehe sowieso schon nackt im Wasser, halte den Kahn in über knie- bis hüfttiefem Wasser fest, schon ein wenig weg von der stärksten Brandung, so dass Andrea einsteigen und ihre Spritzdecke schließen kann. Zum Schluss muss ich noch reinhüpfen, während Andrea bereits rauspaddelt. Klappt alles, und so können wir den anderen beiden hinterherpaddeln.



Andrea, die mit einem sehr unguten Gefühl überhaupt mitgemacht hat, entspannt sich wieder, als sie merkt, dass alles nur halb so schlimm ist. Natürlich müssen wir jederzeit konzentriert sein und auf die nächste Welle achten. Wenn die dann unter einem durchrollen oder auch mal auf Deck klatschen, schwankt der Kahn ganz schön und würde ohne entsprechende Ausgleichs- und Stützbewegungen sicher auch schnell kentern. Wir halten 60 - 90m Abstand zum Ufer.

Ich bin sehr froh, dass es nun doch noch ein wenig weitergeht, und genieße den Ritt auf den Wellen. Das habe ich schon lange nicht mehr gemacht, das letzte mal war 1976 unter Segeln im RZ85 auf dem Greifswalder Bodden.

Von einem Beobachtungsturm in der Nähe unseres nächsten Zeltplatzes hat man eine herrliche Aussicht auf den Baikal und die jetzt in ihrer vollen Pracht daliegende Heilige Nase (1878müNN):


Absolutes Traumwetter! Jetzt hätte ich da oben auf der Heiligen Nase stehen können.

Die Sonne geht hinter der Heiligen Nase unter. Kurz vor Sonnenuntergang entsteht dieses Bild:


In der Vergrößerung ist die Insel Olchon klar zu erkennen, genau über dem Heck des Allys. Diese Nacht wird es empfindlich kühl und wir verschwinden bald im Zelt.

Am nächsten Morgen beobachten wir nebenan 2 Fischer, die Probleme mit ihrem Lada Niva haben. Telefonisch ordern sie ein Ersatzteil. Als wir zusammenpacken, kommen sie zu uns rüber und nutzen unser Lagerfeuer gleich für ihren Tee.

Während wir abfahren, wollen sie uns zum Omul einladen, dem berühmten leckeren Speisefisch, den es nur hier im Baikal gibt (ähnlich unseren Maränen oder Renken). Das Problem ist nur, Roland ist bereits auf dem Wasser und hört uns nicht mehr. Sie meinen, es dauere nur 5 Minuten, aber ohne Roland zu benachrichtigen wollen wir uns jetzt nicht wieder ans Feuer setzen. Da geben sie uns die 4 Omule mit, schöne große fette Exemplare, die sie vor einer halben Stunde frisch aus dem See geangelt haben. Besten Dank dafür!



Das Paddeln auf dem See ist heute unspektakulär. Man muss nur aufpassen, nicht auf den See hinausgeweht zu werden.



Nach einer knappen Stunde landen wir bereits wieder an. Roland hat eine herrenlose Sauna gefunden, und möchte hier lagern. Weiter voraus sind etliche weitere Camper zu erkennen, und Roland fürchtet wohl, dort keinen guten Rastplatz mehr zu finden.

Von hier sind es noch 3½km bis zur Heiligen Nase, auf die ich morgen oder übermorgen hinaufwandern möchte. Na gut, das Stück kann ich auch noch laufen.

Nachmittags drehe ich eine Runde in nördlicher Richtung und entdecke sogar einen Bezahl-Campingplatz.
Zurück im Lager hat es bereits angefangen zu regnen. Nun geht es an die Omuln. Die Fische hat Dörte bereits Mittags entschuppt und ausgenommen:






Diesmal verfeuern wir gleich zu Beginn größere Holzmengen, um ein ordentliches Glutbett zu bekommen. In der näheren Umgebung des Lagers ist kein Holz zu finden, alles abgegrast, und so muss ich tiefer im Wald Ausschau halten. Das ist, neben dem vielen Müll, der Nachteil solcher beliebten Rastplätze.
Für den Müll hat die Nationalparkverwaltung in kurzen Abständen entlang des gesamten Weges große Müllcontainer aufgestellt, die auch regelmäßig geleert werden. Dennoch waren die 50m zu weit und unsere Vorgänger hier auf dem Platz haben wilde Müllgruben gleich neben den Sitzgelegenheiten gegraben.


Die zarten, fetten Fische garen schnell. Am Ende schmecken sie sehr lecker.

06. August 2018, heute ist Ruhetag und nicht viel zu berichten. Nur für Roland beginnt er mit etwas Äktschen. Er merkt mitten in der Nacht gerade noch rechtzeitig, dass die Brandung wieder zunimmt, und schaut mal nach den Booten. Tatsächlich hat der Wind gedreht, ist das Wasser ein Stück gestiegen, und die Brandung hat sein Boot bereits in Bewegung gesetzt. Er zieht beide Janas ein Stück den Strand hoch und geht wieder Schlafen (unseren Ally hatten wir sowieso schon hoch an Land gelegt).

Nachmittags Saunabau, der Ofen muss repariert werden, also zum Teil neu aufgeschichtet. Der Saunaofen wird diesmal nur aus großen Steinen aufgebaut, die die Wärme ein Weilchen halten. Zum Anheizen wird ein größeres Feuer gezündet. Der Wind drückt die Flammen vor dem Steinhaufen in diesen hinein:


Diesmal funktioniert die Sauna perfekt. Wir drängeln uns maximal zu dritt rein und wechseln uns ab. Frische Birkenzweige auf der Haut ausgepeitscht ölen die Haut und sorgen für ein angenehmes Aroma. Diesmal bin ich der Letzte und will kaum aufhören. Ich glaube ich war insgesamt 5 mal drin. Und zwischendurch immer wieder im Baikal abgekühlt. Schöne Brandung. Nur der schwarze Holz(kohle)Grus im Brandungsbereich ist ein wenig seltsam.


Die Wellen sehen eigentlich gar nicht besonders wild aus, aber schaut mal auf die Größenverhältnisse:


Wind-Fetch 250 - 400km.

07. August 2018, Wanderung auf die Heilige Nase. Kurz nach Sonnenaufgang stehe ich auf und koche mir einen ¾L Kaffee, und Tee zum Mitnehmen. Es ist neblig, aber über dem Nebel ist bereits blauer Himmel auszumachen, beste Bedingungen für meine heutige Bergtour auf die Heilige Nase. ½7 geht es los, das Ziel vor Augen:


Zunächst muss ich 3½km entlang des Hauptweges bis zum Fuße des Bergmassivs, und anschließend einen weiteren Kilometer einen Fahrweg entlang des Südufers laufen, bis es bei der ehemaligen Siedlung Glinka den direkten Wanderweg hoch auf die Heilige Nase geht.

Viele Fahrzeuge sind zu dieser frühen Stunde naturgemäß nicht unterwegs. Natürlich halte ich immer mal den Daumen raus, wenn sich eines der wenigen Fahrzeuge nähert. Nach 2½km, der Hälfte des Fahrweges, ist es soweit. Ein Kleinbus mit Großfamilie hält und nimmt mich mit. Wie es der Zufall will, sind sie ebenfalls auf die Heilige Nase unterwegs und können mich direkt bis zum Startpunkt des Wanderpfades mitnehmen.
Die nächsten 3½km geht es auf einem gut erkennbaren Pfad mäßig steil bergauf, erst durch intakte Taiga. Später geht es durch Waldbrandgebiet. 2015 wüteten hier die letzten großflächigen Brände, die alle von Gewittern gezündet wurden. Ob nun genau die Brandflächen hier entlang des Weges 2015 in Flammen standen, kann ich nicht mit Sicherheit sagen.

Während der gesamten Sibirienreise sind mir viele Waldbrandflächen aufgefallen. Waldbrände sind offenbar ein wichtiger Faktor in der Wiederverjüngung der Taiga-Ökosysteme, mehr als ich vorher erwartet habe.
Dann wird der Weg für 1½km sehr steil und anstrengend. Neue Serpentinen wurden angelegt, aber bergauf nehme ich oft noch den kurzen direkten Weg auf dem Grat. In einer Höhe von knapp über 1300m ist die Baumgrenze erreicht, 850m über dem Seespiegel. Auf einer leicht abgesetzten Kuppe steht ein Altgläubigenkreuz. Hier mache ich die erste Rast:


Blick hoch zum Gipfel:


Ankunft auf dem Gipfelplateau:


Plateau ist vielleicht etwas übertrieben, es ist nicht eben, sondern gewellt bis hügelig, aber doch ganz anders als man beim Blick von unten erwarten würde.
Der Höchste Punkt des Plateaus ist nicht ganz einfach zu finden. Meine Openandromap zeigt ihn mit falscher Höhenangabe an einer zufälligen Stelle. Die sowjetische Militärkarte zeigt den Punkt dagegen ziemlich genau an. An dieser Stelle liegt ein großer Stein, darauf flattert ein Fähnchen. Eigentlich eindeutig. Die Openstreetmap ist natürlich mittlerweile von mir korrigiert worden.



Irritierend ist nur, dass, egal in welche Richtung ich blicke, mir alle Erhebungen ringsum deutlich höher erscheinen als der Punkt an dem ich stehe. So was habe ich ja noch nie gehabt und wirklich erklären kann ich es mir bis heute nicht. Doch die Daten sind eindeutig. Die SRTM-Höhen in der Openandromap sind in allen Richtungen geringer, und das GPS zeigt dasselbe, sobald ich mich vom höchsten Punkt entferne.

In Richtung NW blicke ich manchmal bis zu den berühmten Uschkani-Inseln mitten im Baikal:


Hier gibt (oder gab?) es eine sehr einsame Meteorologische Station, die schon Klaus Bednarz in den 90er Jahren besuchte, und hier ist der wichtigste Rastplatz der Baikal-Robben. Bis zu 2000 Tiere sollen sich hier versammeln. Aus der Entfernung von 26km sind die natürlich nicht auszumachen. ;-)

Dafür habe ich kurz danach eine andere nette Tierbegegnung:

Suchbild ↑ Erkennt man schon was?

Ich bin bereits auf dem Rückweg. Ein Pfeifhase sitzt auf einem Stein, hoch oben in 1700m Höhe. Das Tier zeigt kaum Scheu. Erst als ich auf 2m heran bin, verkriecht er sich pfeifend unter einem Stein. Diese Pfiffe habe ich schon während des Aufstiegs gehört, und wunderte mich, dass ich nie einen passenden Vogel dazu abfliegen sah. ;-)



Insgesamt bin ich 11¼h auf den Beinen gewesen und habe dabei 20.5km zu Fuß zurückgelegt. Mindestens 1423 Höhenmeter ging es bergauf, genauso viel wieder herunter. Das Track-Analyseprogramm erzählt mir sogar was von 1837 Höhenmetern bergauf (auf Basis der bereits geglätteten SRTM-Daten, also nicht der im Track gespeicherten GPS-Höhen).

Aber ehrlich Leute, ich bin froh, dass ich eigentlich Paddler bin. Die Zeit ausgedehnter, unbeschwerter Bergwanderungen nach Art der Bergziege liegt wohl hinter mir. Ich bin jedenfalls wieder ordentlich geschafft und die Gelenke schmerzen.

Zurück im Lager hat Dörte noch mal die Sauna angefeuert, so dass ich nach dem völlig verschwitzten Wandertag noch eine Tiefenreingung bekomme.

Für den nächsten Tag hat Roland telefonisch einen Kleinbus in Ust-Bargusin geordert, der uns vier und unser umfangreiches Gepäck in aller Frühe hier abholen und nach Turka fahren soll. Dort wird ein Schiffchen auf uns warten, das uns quer über den Baikal zu einem Tagesausflug auf die Insel Olchon bringt. Der Busfahrer ist zuverlässig und steht schon eine ¼h vor der vereinbarten Zeit auf dem Weg. Nach und nach verschwindet alles Gepäck im Bus. Verschwinden ist vielleicht nicht das richtige Wort, im Gegenteil, es füllt das Volumen unserer "Gazelle" zum großen Teil aus. Übrig bleiben gerade mal unsere 3 Sitzplätze hinten, Andrea sitzt wieder vorne.



Da liegt es, unser Schiffchen, die «Пилигрим», im Hafen von Turka:


Kurz vor 10 legen wir endlich ab. Das Wetter ist angenehm, der Wind schwach, die Sicht gut.

Mit konstanten 16km/h tuckern wir über den See, vollkommen geradlinig in Richtung NW zur Nordspitze der Insel Olchon. Eine leichte Dünung lässt das Schiff ein bisschen schwanken.



Es gibt zu Beginn gleich ein Frühstück mit Spiegelei, Weißbrot, Kaffee und einem kleinen Törtchen. Kamera-Akku und Smartphone können beim Kapitän aufgeladen werden. Danach kommt unsere Reiseleiterin und hält uns einen Vortrag über die Besonderheiten des Baikalsees, all die bekannten Sachen, und auch ein paar weniger bekannte Details.

Der Baikal ist mit 1642 Metern der tiefste, mit 23615 km³ der voluminöseste, und mit mehr als 25 Millionen Jahren der älteste Süßwassersee der Erde. Er bildet das größte Reservoir flüssigen Süßwassers auf der Erde mit einem Fünftel der flüssigen Süßwasserreserven. Sein Volumen ist größer als das der Ostsee oder der Summe der nordamerikanischen Großen Seen. Das Einzugsgebiet des Sees beträgt 571000 km², 1.6x größer als Deutschland. Gespeist wird der Baikalsee von 336 Flüssen und unzähligen Bächen. Die größten Zuflüsse sind die Obere Angara, die Selenga und der Bargusin. Die Angara ist der einzige Abfluss des Sees und einer der großen Flüsse Sibiriens. Sie mündet nach 1779km in den Jenissei und dieser 2137km weiter in den Arktischen Ozean.

So gesehen ist der Baikal Teil des längsten Flusssytems Russlands mit einer Gesamtlänge von 5540km (Ider–Selenga–Baikal–Angara–Jenissei uh der Angara-Mündung). Nur Amazonas, Nil, Jangtsekiang und Mississippi (über Missouri mit Jefferson und Red Rock River) stehen davor in der Liste (Übersichtskarte).

Die Länge des Baikalsees beträgt 673km, die Breite maximal 82km. Jedes Jahr wächst er um 2​cm in Breite, Länge und Tiefe. Auch die umliegenden Gebirge sind in ständiger tektonischer Bewegung. Im Mittel ist er 48km breit und unsere Schiffsroute entspricht dem ziemlich genau mit 53km. Das wäre also schon ein sehr langer Paddeltag, wollte man den See mit Kanu überqueren.

Weiter geht die Liste der Besonderheiten mit den ~1500 Tier- und 1000 Pflanzenarten, von denen ⅔ endemisch sind, also ausschließlich hier vorkommen. Die erstaunlichsten Vertreter sind wohl die Baikalrobben, für die man bisher noch keine Erklärung hat, wie sie in den See gelangt sein könnten. Dass das Wasser des Baikal so sauber ist, verdankt es dem planktischen Flohkrebs Epischura baikalensis. Er lebt in allen Tiefen des Sees, macht 80 - 90% der Biomasse des gesamten Zooplanktons aus und filtert Phytoplankton aus dem Wasser. Die Flohkrebse selber sind die wichtigste Nahrung des Omuls. Die wichtigste Nahrung der Baikalrobbe ist dagegen der Baikal-Ölfisch, die Golomjanka (2 Arten). Auch ein extremes Tier, eine Groppe, die nicht wie unsere auf dem Grund lebt sondern hier im Freiwasser bis in fast jede Tiefe und einen extremen Fettreichtum aufweist (35%). Der Körper ist nahezu durchsichtig. Größter Fisch ist der Sibirische Stör in seiner Unterart Acipenser baerii baicalensis. 125kg schwere Exemplare waren nicht selten. Heute ist er gefährdet.

Während wir so viel über den Baikalsee erfahren, verschlechtert sich die Sicht plötzlich und wir fahren durch dichten Nebel. Die nächsten 1½h haben wir Null Sicht. Es ist ein unheimliches Gefühl, so durch den Nebel zu fahren, 1600m Wasser unter einem. Tatsächlich fahren wir ziemlich genau über die tiefste Stelle des Sees.
Kurz vor 1 beginnt sich der Nebel zu lichten. Plötzlich liegt die Steilküste der Insel Olchon vor uns, wir haben die Nebelbank verlassen. Vor uns liegt der höchste Punkt der Insel. Die Felsküste hier ist 200 - 300m hoch:




Eine «Буханка» (Buchanka) steht für uns bereit, ein UAZ-452, ein alter sowjetischer Allrad-Transporter, für uns natürlich in der Ausführung "Kleinbus". Dieses Fahrzeug wird seit 1965 bis heute nahezu unverändert gebaut und ist hier in Russland recht beliebt, zumindest da, wo das Gelände rauher wird.



Ziel sind ein paar schöne Aussichtspunkte im Norden der Insel Olchon (Map). Zunächst geht es 9km zum Kap Sagan-Chuschun (Мыс Саган-Хушун), dem Weißen Kap, daneben die "Drei Brüder". Eine schöne Felsformation an der Ostküste mit Blick auf das "Kleine Meer", wie der Bereich des Baikals zwischen der Insel Olchon und dem Ostufer des Baikals hier heißt. Die Insel Olchon, das "Kleine Meer" und das gegenüberliegende Ufer sind alles Teil des Pribaikalsky Nationalparks. Dutzende Buchankas parken hier, hunderte Touristen sind hauptsächlich mit Selfie-Knipsen beschäftigt.

Weißes Kap:


Nächste Station und nördlichster Punkt der Insel Olchon:



1½h haben wir für den Spaziergang aufs Kap. Natürlich sind wir auch dabei, bei den gestellten Selfies, lassen unseres aber von einem jungen Polen knipsen, der hier alleine unterwegs ist und selber viel fotografiert:



Vom Kap Khoboi hat man einen einzigartigen Ausblick auf den Baikalsee, der genau hier seine größte Breite hat (82km). Nach Westen schaut man über das Kleine Meer auf die Berge des Baikal-Gebirges, die den See im Westen begrenzen. Das zieht sich bis in den Norden zum Kap Shartlay (62km) und weit darüber hinaus. Die Berge erreichen um das Kap herum mehr als 2000müNN. Weiter nördlich werden sie noch höher, aber die sind von hier aus nicht sichtbar (Erdkrümmung).

Im Osten schaut man in die Bargusin-Bucht bis zur Mündung unseres Paddelflusses, da, wo wir heute morgen gestartet sind. Links wird die Bucht begrenzt von der Heiligen Nase, wo ich gestern draufstand (73km), rechts vom Мыс Крестовый (58km), den Ausläufern des Ikat-Gebirges. Zwischen Kap Shartlay und der Heiligen Nase kann man mit dem Fernglas auch die Uschkani-Inseln erkennen, die kleine Inselgruppe mitten im See (75km). Herrlich, wie man hier die halbe Geographie des Sees mit einem Rundblick erfassen kann.

Um 4 fahren wir weiter zum Мыс Шунтэ Левый, dem Kap Schunte-Lewyi.



Man nennt es auch das Kap der Liebe, und man kann unschwer erkennen, wie es zu diesem Namen kam. Wenn Ehepartner keine Kinder bekamen, verbrachten sie eine Nacht in einer Jurte auf dem Kap, dann verschwanden die Probleme in der Regel. Heute ist diese Tradition verloren gegangen, aber Paare, die Kinder wollen, tun gut daran, auf einen der Felsen zu klettern, und eine Münze zu opfern (wenn Sie einen Jungen wollen - auf die linke Seite der Klippe, für ein Mädchen - auf die rechte Seite).

¾6 sind wir wieder beim Schiff.



Diesmal kommen noch 8 Burjaten zu uns an Bord, ein Kamerateam des burjatischen Fernsehens und Familienangehörige, die von einem Dreh auf der Insel zurückkehren.

Wir essen zusammen Abendbrot und unterhalten uns mit ihnen.

Abschied von Olchon:



Die Rückfahrt ist traumhaft, die Sonne scheint, der Wind ist ganz eingeschlafen, es ist warm und die Sicht fantastisch.





Während der Rückfahrt überlegen wir uns, wie wir heute Abend weiterkommen. Damit es nicht wieder so teuer wird, übernehme ich die Organisation. Der Charterbus für die 131km von der Heiligen Nase nach Turka hat bereits 10000₽ (139€) gekostet. So kontaktiere ich unsere Reiseleiterin, die vorne beim Kapitän in der Kajüte sitzt, und skizziere mein Anliegen und den Preisrahmen, den ich mir so vorstelle. Wir brauchen einen Transport für 4 Mann mit Riesengepäck von Turka bis hinter Ulan-Ude, zum Taiga-Pitch, dem Gelände, auf dem Roland bereits mit der 1. Gruppe mehrere Nächte verbracht hat. Nach mehreren Telefonaten findet sie was für uns. 5000₽ soll es bis Ulan-Ude kosten, 70€ für 170km. Das klingt doch schon ganz gut. Dann müssen wir nur noch was draufschlagen für die 13km Resttrecke von Ulan-Ude bis zum Taiga-Pitch.
In Turka müssen wir nicht lange warten, bis unser Fahrer in einem neuen koreanischen Kleinlaster ankommt.



Das Gepäck ist schnell auf der Ladefläche verstaut, und vorne werden alle verfügbaren Sitzplätze besetzt. Perfekt, bis auf den geringen Fußraum für die hintere Reihe. Eine ¼h vor Mitternacht erreichen wir das Camp. Den folgenden Tag sind wir noch mal in Ulan-Ude, und einen Tag später fliegen wir heim.


Fazit:

Ich war das erste Mal in Sibirien, es war die erste größere Fernreise seit 25 Jahren*, und es war das erste mal Anreise mit Faltboot im Flugzeug. Zwar war es keine Paddeltour durch unendliche sibirische Wildnis, wie ich mir das standardmäßig vorstelle. Die Tour führte 372 Paddelkilometer über Fluss und See, überwiegend durch bewohntes Gebiet, aber sie war dennoch interessant in oftmals grandioser Landschaft, auf jeden Fall schöner und abwechslungsreicher als vorher gedacht. Russland selbst ist für mich immer wieder spannend und viel angenehmer, als es sich wohl die meisten von euch vorstellen können.
Die ganze Reise von 30 Tagen hat übrigens 1146€ gekostet, davon 62% für Flug und Visum. Kein Vergleich mit Nordamerika, dem Lieblingsziel vieler Canadierpaddler, aber mindestens genauso abenteuerlich.
Das Reisen in Gruppen >2 Teilnehmer ist eher nicht so mein Ding, wenn die Bedürfnisse der einzelnen Teilnehmer sich sehr unterscheiden, was Tagesablauf, Stellenwert des Essens und akzeptable Kosten betrifft. Das Fliegen mit Faltboot und Campingkram macht mir dagegen jetzt viel weniger Kopfzerbrechen als vor der Tour, und damit spricht also nichts mehr gegen größere Unternehmungen. Ich hab da schon was vor … ;-)

Wer den Reisebericht noch etwas systematischer und in fast allen Details lesen will, der schaue hier im Outdoorseitenforum.


------------------------------
*oder zählen Euphrat und Ural auch schon zu den Fernreisen?


sputnik Offline




Beiträge: 2.786

10.11.2018 20:54
#4 RE: Bargusin - Baikal, Sibirien 2018 Antworten

Zitat von Spartaner im Beitrag #3
.......

*oder zählen Euphrat und Ural auch schon zu den Fernreisen?


Witzbold!

Danke für diesen tollen Bericht. Einfach nur "WOW". Was für ein Abenteuer!

Grüßle,
Stefan

__________________________________________________
Stark und groß durch Spätzle mit Soß' ..... Gottes schönste Gabe: der Schwabe!


Cauna Offline




Beiträge: 68

10.11.2018 21:55
#5 RE: Bargusin - Baikal, Sibirien 2018 Antworten

Hallo Spartaner,

tolles Abenteuer und sehr schöner Bericht.

Danke
Michael


wanderer57 Offline




Beiträge: 45

16.11.2018 22:38
#6 RE: Bargusin - Baikal, Sibirien 2018 Antworten

Hallo Michael,

ich habe schon einige deiner sehr informativen Reisebeschreibungen gelesen.
Mich für die sehr aufwendigen Beschreibungen zu bedanken, ist schon lange überfällig.
Vielen Dank Dafür.

Lieben Gruß, Peter


m!chael Offline



Beiträge: 113

17.11.2018 10:26
#7 RE: Bargusin - Baikal, Sibirien 2018 Antworten

Vielen vielen Dank für diesen tollen Bericht

Viele Grüße
Michael


Wolfgang Hölbling Offline




Beiträge: 3.675

17.11.2018 11:33
#8 RE: Bargusin - Baikal, Sibirien 2018 Antworten

Was für ein Land, was für ein Bericht! Danke, W

http://www.canoebase.at/
http://www.swiftcanoe.eu/

Wolfgang Hölbling


Peter Pan Offline




Beiträge: 163

17.11.2018 22:48
#9 RE: Bargusin - Baikal, Sibirien 2018 Antworten

Eine echt geile Tour !
Danke fürs Schreiben. Im ODS-Forum hatte ich schon interessiert gelesen, und auch so bei mir gedacht:
Bei der nächsten Tour ist Dörte&Co wohl eher nicht mit dabei.....


Spartaner Offline




Beiträge: 1.150

18.11.2018 10:55
#10 RE: Bargusin - Baikal, Sibirien 2018 Antworten

Das sollte man eher umgekehrt lesen: die beiden, und noch ein paar Leute mehr, machen seit Jahren große Touren, und wir haben uns dieses Jahr nur angeschlossen. Es war also eigentlich nicht meine Tour, obwohl ich sie im Detail dann geplant und vorbereitet habe. Roland hat vorher im Groben geplant, und sich dann auf die 1. Gruppe mit den 25 Teilnehmern fokussiert. Da war er der Reiseleiter, war dabei auch ziemlich gefordert, und hat sich die anschließenden 4 Wochen Erholung mit uns redlich verdient.


el_largo Offline




Beiträge: 885

18.11.2018 11:45
#11 RE: Bargusin - Baikal, Sibirien 2018 Antworten

Wenn einer eine Reise tut ...

beeindruckend!! Wirklich beeindruckende Bilder und toller Bericht von einer beeindruckenden Reise!

Vielen Dank!

Grüße aus dem südlichen Süden,

Klaus


champagnierle Offline



Beiträge: 164

19.11.2018 17:16
#12 RE: Bargusin - Baikal, Sibirien 2018 Antworten

Lieber Michael,
vielen Dank für den wunderbaren Bericht.

Alle Daumen hoch!

Gruß aus Singen unbekannterweise

Marc

==
Das Reh springt hoch,
das Reh springt weit,
es macht ihm Spaß,
es hat ja Zeit.


Troubadix Offline



Beiträge: 1.359

21.11.2018 20:06
#13 RE: Bargusin - Baikal, Sibirien 2018 Antworten

Moin Michael,
die 3-4 Bilder die mich im Urlaub erreichten haben bei mir bereits einen mentalen Ausnahmezustand bewirkt, besonders das mit Blick auf das Bargusin Tal. Das hier ist schon eine ganz besonders abenteuerliche grandiose Bildergeschichte. Danke für diesen wunderschönen Bericht. Meine Vorfreude auf Russland wird dadurch ordentlich befeuert, mein letzter Aufenthalt ist ja schon fast nicht mehr wahr.
liebe Grüße
Jürgen


dundak Offline



Beiträge: 12

01.12.2018 13:45
#14 Sibirien 2019 Antworten

Hallo,

ein toller Bericht und obwohl ich bei der Fahrt dabei war und ausser dem Bargusin auch noch die Uda und Selenga gepaddeln bin, ist meine Sehnsucht nach Sibirien ungebrochen. Daher werde ich mit großer Wahrscheinlichkeit auch im Sommer 2019 wieder mehrere Wochen nach Sibirien fahren. Mit großer Wahrscheinlichkeit 2 Touren. Wieder den Bargusin und dann (oder vorher) in Südburjatien die Dschida und wenn es klappt und die Zeit reicht weiter auf der Selenga bis zum Baikal. Maximale Gruppengröße je Tour 8-10 Paddler. Abrechnung zum reinen Selbstkostenpreis, das heisst jeder Teilnehmer und auch ich zahle alle meine Kosten selbst. Erfahrungsgemäss braucht man neben den Flugkosten für 3 Wochen je Person ca 500-700 € für Logistik, Verpflegung und Getränke. Wer Interesse hat kann sich ja bei mir melden.


Roland

dundak@web.de


stephanieklapp ( gelöscht )
Beiträge:

04.01.2019 09:13
#15 RE: Sibirien 2019 Antworten

Wow toller bericht! Muss ich auch mal hin


einfluss Offline




Beiträge: 263

06.01.2019 18:52
#16 RE: Bargusin - Baikal, Sibirien 2018 Antworten

Am Samstag, 19. Januar 2019 dürfen wir von der IG-OC in Roggwil / Schweiz einen Bildvortrag von Michael über die Bargusinreise erleben. Es hat noch Plätze. Anmeldung bis spätestens 12. Januar 2019. www.ig-opencanoe.ch

ACA Kanuguide und Tripleader
Kanuschule Versam (CH) Tourenleiter


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