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Dieses Thema hat 9 Antworten
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 TOURENBERICHTE
Spartaner Offline




Beiträge: 1.150

25.11.2014 15:26
Spree Dahme November 2014 Antworten

4°C, Regen - nasskalte Novembertage, wer verbringt die nicht gerne auf dem Wasser? Da Andrea so was nicht mitmacht (sie mag eher nasskalte Januartage), musste und wollte ich das mal solo probieren. Premiere. Dazu das neue (gebraucht gekaufte) Solo-Zelt ausprobieren, Premiere, und zu gu­ter Letzt, endlich mal Ally und ÖPNV ausprobieren, Premiere.

Das größte Abenteuer ist für mich der ÖPNV. Ich wähle für den Anfang eine einfachstmögliche Route: Abfahrt S-Bahn-Karlshorst, Umsteigen Erkner, RB nach Fürstenwalde. Im Gegensatz zu unserer ersten Lapplandtour, wo wir den Ally Tour aufgebaut auf dem Bootswagen 10 km durch die Tundra gekarrt haben, klappt es jetzt mit dem Ally Tramp verpackt in 2 Säcken. Dennoch ist die Fuhre unheimlich schwer und auch kippanfällig, da sie im Gegensatz zu den klassischen Faltbooten auf niedrigen Bootswagen sehr hoch aufgebaut ist und keine lange Stabtasche zur Stabilisierung zur Verfügung steht.

Der Fahrstuhl im S-Bahnhof Karlshorst ist außer Betrieb. Die Treppe komme ich nur mit Andreas Hilfe hoch, oben fällt die Fuhre auseinander und muss neu verzurrt werden. Alleine hätte ich sie sowieso auseinandernehmen müssen. Immerhin steht die Fuhre stabil in der Bahn, ohne dass sie weiter gesichert werden müsste. In Erkner muss man 300 m zur Regionalbahn laufen. An der S-Bahn gibt es einen Fahrstuhl, der Aufstieg zum RB-Bahnsteig geht über eine lange schräge Rampe.
Die kürzeste Verbindung für die 40 km benötigt 37 Minuten, wobei 6 Minuten für das Umsteigen in Erkner zur Verfügung stehen. Ich lasse mir etwas mehr Umsteigezeit und bin nach 50 Minuten in Fürstenwalde. 5.40€ hat der Spaß gekostet, solo tatsächlich sogar billiger als mit Auto. Früher hätte man noch eine Fahrradkarte für ein Faltboot lösen müssen. Heute sind Faltboote zu selten, zählen nur noch als "Gepäck" und kosten nichts extra.

In Fürstenwalde hilft mir ein junger Mann, die Fuhre aus der Bahn eine Stufe hoch auf den Bahnsteig zu wuchten. Dann rollt es erst mal easy. Die großen Räder meines Herkules-Roadrunner-Bootswagens sind kugelgelagert und laufen sehr leicht. Zunächst geht es zum Penny, Essen und Bier bunkern. Nach insgesamt 1½km zu Fuß stehe ich am Fluss. Boot aufbauen, Gepäck verstauen, Wasser an einer nahegelegenen Baustelle abfüllen dauert 1¼h.

Kurz vor 3 bin ich auf dem Wasser, alleine. Kein Boot, kein Schiff, kein Angler zu sehen, Brandenburg hält wohl schon Winterschlaf. Der Wind unterstützt mich mit einer leichten Brise aus Ost. 4km/h erreiche ich mit diesem Boot dauerhaft, ohne mich groß anzustrengen. Mit einem langen schlanken Kajak wäre ich auf jeden Fall schneller. Die Sonne ist bereits hinter Wolken verschwunden, die Dämmerung naht. Nach einer Stunde, 4.2 km, bin ich am Wehr Große Tränke. 16:10Uhr geht die Sonne unter, bis dahin sind es noch 20 Minuten. Normalerweise soll man hier mit einem schweren schienengebundenen Wagen das Wehr umtragen, aber die Wehrbesichtigung ergibt: fahrbar, bei einer Fallhöhe von momentan 49cm. Spritzdecke aufziehen ist nicht nötig, es kommen nur wenige Spritzer ins Boot.

2 Minuten nach Sonnenuntergang bin ich an einem schönen Lagerplatz, den wir von vorherigen Fahrten bereits kennen. Das Zelt, ein Vaude Powerlizard 1-2P, lässt sich recht einfach aufbauen. Im letzten Dämmerlicht sammele ich noch ein paar trockene Reiser für den Künzi morgen früh. Abendlektüre ist Lothar-Günther Buchheims "Vagabund und Flusspirat: Mit dem Faltboot auf der wilden Drina". Die Nacht ist leicht windig und es regnet, aber die Luft im Zelt bleibt trocken. Immer wieder erschallen die Rufe verschiedener Eulenarten.

Früh steht das jetzt nasse Zelt recht schlapp da. Ist das wieder so ein Zeltmaterial, welches bei Nässe die Spannung verliert? Der Künzi startet gut mit den gestern gesammelten Hölzern. Auf anderen Touren gehe ich gern auf Nummer sicher und nehme eine Tüte gut getrocknetes Holz mit. Hier mit ÖPNV-Anreise natürlich nicht, also wieder Künzeln wie zu Urzeiten mit dem gerade vorgefundenen Holz. Die gewöhnlichen 2L kochendes Wasser reichen solo für ein Haferl Müsli, 0.8L Kaffee, sowie 1L Tee für die Thermoskanne. Die zu großen Holzstücke, welche ich mit der Hand nicht kleinbekomme, lege ich zum Schluss auf und habe ein schönes kleines Lagerfeuer.

Start ¾11, heute 27 km, nicht geplant, es ergibt sich halt so. Wegen der Strömung des Flusses liegt die gefahrene Geschwindigkeit heute so um die 6 bis 7km/h. Immer schön gleichmäßig durchziehen. Anfangs sitze ich noch ab und zu auf einem extra als Sattelsitz gepackten Packsack mehr in der Mitte des Bootes, aber das ist mir auf Dauer doch zu ungemütlich. Ich verlege mich wieder mehr auf die rückwärtige Sitzbank.

Zur Mittagspause unterhalte ich mich mit einem zufällig ebenfalls hier pausierenden Mitarbeiter des "Wasser- und Landschaftspflegeverbandes Untere Spree" und erfahre viel über Wasserstandsmessungen, Telemetrie, Krauträumungs und Renaturierungsaktivitäten und dass wahrscheinlich gerade wieder die Talsperre Spremberg geleert wird - daher das viele Wasser jetzt hier in der Müggelspree.

Später besuche ich noch kurz die Kanustation Hangelsberg von Kanu-Sport Berlin. Gegen ¼4, 2.6 km oh der Autobahnbrücke über die Spree, kommt die Autobahn in Hörweite. Hier gäbe es auch noch gute Zeltstellen, aber ich möchte doch noch ein Stück weiterpaddeln und hoffe, auch unterhalb der Autobahn noch schöne Stellen zu finden. Ich weiß, das wird dort etwas schwieriger werden, denn mit Hohenbinde und Neu Zittau liegen dann auch Ortschaften am Ufer, dazu etliche Kleingartenanlagen in Ufernähe, aber diese Unsicherheit führt ja letztlich auch wieder zu einem kleinen bisschen Abenteuergefühl ;-)

20 vor 4, auf Höhe des Campingplatzes "Jägerbude" kann ich wieder mal nur den Kopf schütteln: wie kann man nur auf diesem Campingplatz Erholung finden? 300 m entfernt von der Tag und Nacht lärmenden Autobahn? Die Brücke hat nicht einmal Schallschutzwände.

Ich paddele noch 1.8 km weiter und lege 15 Minuten vor Sonnenuntergang an. Eine einzelne Sitzbank markiert ein kleines offenes Uferstück. Das Zelt wird zwischen den Bäumen aufgebaut, weil es da trockener aussieht. Ein paar Künziäste werden unter einem Baum im Trockenen deponiert.

Nachts regnet es wieder, diesmal ausdauernder und kräftiger als letzte Nacht. Da das Zelt bereits beim Aufbau nass war, hat es während des Regens nicht wieder "schlapp gemacht". Innen ist weiterhin alles trocken.

Morgens läuft alles wie am Vortag, nur halt eine ganze Ecke nasser ab. Diesmal bin ich bereits ½10 auf dem Wasser. Kurzer Schreck, das Paddel rutscht beim Fotografieren ins Wasser und ich wäre beim "Hinterherhechten" fast umgekippt. Ich treibe steuerlos in einen übers Wasser hängenden Baum, angesichts der schwachen Strömung alles problemlos. Dann musste ich doch das Ersatzpaddel hervorzerren, um den Ausreißer wieder einzufangen.

Heute habe ich nur sehr wenig Unterstützung durch Strömung und komme auf insgesamt 20 km. In Erkner wird der Regen so stark, dass es sich lohnt, die Spritzdecke aufzuziehen. Der Dämeritzsee ist spiegelglatt, absolute Ruhe, kein Boot unterwegs. Ich habe nun die Wahl, die kurze Route über den Müggelsee zu paddeln, oder die längere über Seddinsee und Dahme. Zeit habe ich genug, also biege ich ab in den Gosener Graben. Es regnet, und ich bin erstaunt, als mir ein Motorboot entgegenkommt. Motorboote sind hier eigentlich verboten. Ok, es sind Mitarbeiter des WSA Berlin. Sie wirken ebenfalls erstaunt, jetzt einen Paddler zu treffen. Zur Zeit entfernen sie umgestürzte Bäume von den Ufern, zumeist angenagt oder bereits gefällt vom Biber.

Auf dem Seddinsee kommt mir der erste Paddler entgegen. Ich denke erst, das wird wohl der einzige bleiben, aber da habe ich mich getäuscht. Später auf der Dahme-Wasserstraße werden es dutzende Ruderer, Rennkajaker und -kanuten, die, getrieben von ihren megafonbewaffneten Trainern ihre Kilometer absolvieren. Auch Binnenschiffe sehe ich so viele wie seit Jahren nicht. Zwei liefern sich Elefantenrennen wie auf der Autobahn. Imposant sind die langen Schubverbände, welche zwischen Königs-Wusterhausen und dem Kraftwerk Klingenberg verkehren und dort "just in time" die Lausitzer Braunkohle anliefern. Derzeit transportieren täglich acht große Schubverbände etwa 8000 Tonnen Kohle.

Also es ist richtig Leben auf Berliner Wasserstraßen. Was die Berliner außerdem noch von den Brandenburger Wasserstraßen unterscheidet, ist der Schilderwald und die Kontrolldichte. Was hier alles verboten ist, unglaublich. Viele Hinweise beziehen sich auf Naturschutz, der in Berlin sehr sehr ernsthaft betrieben wird. Auch ist die Chance, von Fischereiaufsicht oder Wasserschutzpolizei erwischt zu werden, hier ungleich höher, alle getroffen auf dieser Tour.

Als der Tag sich zu Ende neigt, stehe ich wieder vor der Frage des Nachtlagers. Wildcampen in Berlin? Ja klar doch, ich habe mir bereits vorab auf Google Maps Satellitenbildern ein paar geeignet ausschauende Stellen ausgeguckt. Nur müssen die hier geheim bleiben ;-)

Das Zelt ist beim Aufbau noch pitschnass vom Regen der letzten Nacht. Es tropft auf die Matte, was sich aber mit ein wenig Trockenwischen des Innenzeltes abstellen lässt. Im Schlafsack ist es wohlig trocken und warm. Zur Lektüre gibt es ebooks: "Russland to go: Eine ungeübte Russin auf Reisen" und die "Die Androidenfibel". Der Luftaustausch im Vaude Powerlizard lässt sich bei Windstille nur durch Öffnen der Innen- und der Außenzelttür sicherstellen. Ich frage mich, wie das im Sommer mit Mücken funktionieren soll ...

Morgens stehe ich bereits gegen ½8 in der Dämmerung auf, baue das Zelt ab, und künzele mir am Ufer mein Frühstück zusammen. Kurz nach 9 geht es los, auf die letzten 11km bis Schöneweide. Die heutige Strecke ist rein städtisch geprägt, für mich eine neue Erfahrung. Zunächst recht hübsch vorbei an schmucken Wassergrundstücken, einer Werft, etlichen Brachen mit Bebauungspotential. Ein Päuschen führt mich auf das ehemalige Grundstück des Gründers der berühmten Meierei C. Bolle, Carl Andreas Julius Bolle. Seine Villa inmitten eines großzügigen Parkes mit Wasserblick steht noch, wenn auch in erbärmlichem Zustand. Wen das Haus dennoch interessiert, der hat Glück, der alte Bolle hat ein fast baugleiches Anwesen auch in Milow errichtet (Jugendherberge Milow Carl Bolle).

Weiter geht es am Schloss Köpenick vorbei, das riesige Ruinenareal der ehemals sehr fortschrittlichen Anstalt zur chemischen Reinigung, Wäscherei und Färberei "Spindlersfeld" sowie mein altes Bootshaus links liegen lassend (da wurde ich vor 40 Jahren zum Kajaktraining getriezt) in Richtung Schöneweide.

Das ehemalige Freibad Oberschöneweide lädt zur Pause. Selbst hier könnte man wohl noch übernachten. Schöneweide ist ein alter Industriestandort im Osten Berlins. Viele der historischen Industrieareale sind im Verfall begriffen, stehen leer. Die Fotos sagen wohl alles. Hie und da regt sich auch schon Neues, zB da wo aus einer Fassade das Heck eines Porschis herausragt, oder auch der neue Teilstandort der Hochschule für Technik und Wirtschaft (HTW) Berlin. Potential ohne Ende.

Auf der Karte hatte ich mir einen möglichen Ausstieg ausgesucht (Map). Angekommen, ragt allerdings eine 3 m hohe Ufermauer vor mir auf, mit einem sehr massiven Stahlring zum Festmachen zwar, aber wie dann weiter? ;-)

Also wieder 300 m zurück, da hatte ich relativ niedrige Stege am Ufer gesehen. Hier kann ich gut abbauen, nur das Tor ist abgeschlossen und muss überklettert werden. Auf der Karte heißt es großartig "Platz am Kaisersteg". Die Fuhre wird zusammengepackt und ist ähnlich schwer wie auf der Hinfahrt. ÖPNV spare ich mir hier, ich wäre wohl nicht ohne Probleme in die Straßenbahn gekommen. Nach 3333m easy walking durch die Wuhlheide bin ich wieder zu Hause.

Zusammenfassung: 64km während 13h auf dem Wasser, und das für 5.40€, das kann man sich ruhig öfter gönnen ;-)

Die Bilderserie ist hier zu sehen, der Bootstrack auf dieser Karte.

Gruß Michael

Angefügte Bilder:
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Trapper Offline




Beiträge: 1.900

25.11.2014 16:01
#2 RE: Spree Dahme November 2014 Antworten

Kleine Fluchten, schön! Es muß nicht immer die Ferne sein!
Silnylonzelte sind zwar schön leicht, haben aber auch viele kleine Nachteile. Ein schöner und ehrlicher Erfahrungsbericht.

Internette Grüße Thomas


markuskrüger Offline




Beiträge: 1.696

25.11.2014 16:58
#3 RE: Spree Dahme November 2014 Antworten

Zitat
Das größte Abenteuer ist für mich der ÖPNV.


Da musste ich wirklich schmunzeln...

Eine schöne unspektakuläre Tour - ein schöner Bericht - Danke!

Gruß,
Markus


Biki Offline




Beiträge: 129

25.11.2014 20:21
#4 RE: Spree Dahme November 2014 Antworten

Wieder ein Bericht von dir, bei dem man gerne mitreist. Danke!


ceerge Offline




Beiträge: 315

26.11.2014 09:15
#5 RE: Spree Dahme November 2014 Antworten

Hi Michael, danke für den Bericht.
Gruß. C.


Donaumike Offline




Beiträge: 1.341

26.11.2014 09:19
#6 RE: Spree Dahme November 2014 Antworten

Ja was soll ich sagen, ich komme hier von der Donau nicht runter….

Ein schöner Bericht, die anderen verlinkten natürlich auch eine Klasse für sich.

Vielen Dank


Grüße nicht weit weg von der Donau, Mike

„Kanu und Wasser, der Rest kann behalten werden“


betasux Offline




Beiträge: 77

26.11.2014 14:48
#7 RE: Spree Dahme November 2014 Antworten

Hallo,

schöne Tour und schöner Bericht, danke dafür.

Gruss Frank

Treib den Fluss nicht an,
lass Ihn strömen.
>Laotse<


Jackson Offline



Beiträge: 95

26.11.2014 22:16
#8 RE: Spree Dahme November 2014 Antworten

Ein großes Dankeschön für den tollen Bericht,
wunderbar mal wieder was von heimischen Gewässern zu lesen!

Viele Grüße


Troubadix Offline



Beiträge: 1.359

26.11.2014 22:25
#9 RE: Spree Dahme November 2014 Antworten

Hallo Michael,
dein spannender und lustiger Bericht hat heute Abend angenehme Abwechslung gebracht.
Danke
Jürgen


gwlap Offline




Beiträge: 142

11.01.2015 02:49
#10 RE: Spree Dahme November 2014 Antworten

schöner Bericht.
Besonders die ÖPNV- Geschichte ist interessant.

bye

Gunter

--

... der den Ally segeln will.


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